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Jugend ohne Gott? Die christliche Religion bröckelt

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14.10.2022
Selbst in religiösen christlichen Hochburgen nimmt die Säkularisierung zu – ausser in Ländern, wo sich der Nationalismus mit der Kirche verbündet, etwa in Russland.

Auch wenn die Fernsehbilder etwa aus den USA zuweilen anderes suggerieren: In den letzten zehn Jahren sind auch ausgeprägt christliche Staaten «weltlicher» geworden. Zu diesem Schluss kommen Detlef Pollack und Gergely Rosta. Die beiden Religionssoziologen der Universität Münster haben soeben eine stark erweiterte Neuauflage des Standardwerks «Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich» veröffentlicht.

Die Autoren nehmen dabei religiöse Trends von 1945 bis heute unter die Lupe.  Grundlage dafür sind Fallstudien für Italien, die Niederlande, Ost- und Westdeutschland, Polen, Russland, die USA, Südkorea und Brasilien.  Dabei stellen sie fest, dass das Bild «eines säkularen Europas auf der einen und den tiefreligiösen USA auf der anderen Seite» revidiert werden müsse. 

Mehr Wohlstand, weniger Religion
«Zudem stellen wir länderübergreifend fest, dass der Glaube an einen personalisierten Gott abnimmt, der an eine unspezifische höhere Macht zu», so Pollack. Dieser «unspezifische» Glaube beeinflusse allerdings «kaum noch die persönliche Lebensführung und ist insofern ein Ausdruck fortschreitender Säkularisierung».

Die Gründe dafür liegen laut den Forschern vor allem im wachsenden Wohlstand, einem breiten Konsum- und Freizeitangebot und weltanschaulicher Vielfalt. Mit anderen Worten: Es gibt viele Alternativen zu religiösen Angeboten.

In Zahlen bedeutet das: «Während sich 2007 noch mehr als 90 Prozent der US-Bürger als gottgläubig bezeichneten, waren es 2017 zehn Prozent weniger, gegenüber knapp Dreiviertel im europäischen Durchschnitt», halten die Autoren der Studie fest.

USA, Westeuropa, Schweiz
Die Schweiz mit ihrem relativ hohen Lebensstandard müsste ja eigentlich ein Paradebeispiel für die Säkularisierung sein. Und tatsächlich: Was für Westeuropa und die USA insgesamt zu beobachten ist, gilt auch für die Schweiz, wie Jörg Stolz bestätigt. Er ist Professor für Religionssoziologie am Institut de sciences sociales des religions (ISSR) der Universität Lausanne und forscht unter anderem zur Säkularisierung und zur Religionslandschaft der Schweiz.

«Auch in der Schweiz ist eine deutliche Säkularisierung zu beobachten», sagt er. Daran hat in seiner Wahrnehmung auch die Corona-Pandemie nichts geändert, in der Alternativen zur Religion – also etwa kulturelle oder sportliche Freizeitangebote – eingeschränkt waren. «Es ist natürlich noch zu früh, eine Bilanz zu ziehen. Aber aus meiner Sicht erlebten Religion und Kirchen dadurch keinen Aufschwung.»

Für eine Hinwendung der Menschen zur Religion brauche es grössere gesellschaftliche Umwälzungen wie etwa Bürgerkriege oder Ereignisse wie den Zerfall der Sowjetunion, sagt Stolz. Das lasse sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken wie etwa Georgien deutlich beobachten. Dort hat die orthodoxe Kirche in den letzten Jahren verstärkten Zulauf erhalten.

Sonderfall Orthodoxie
Die orthodoxe Kirche nimmt sowieso eine Sonderstellung ein. So heisst es in der Studie:  «Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Russisch-Orthodoxe Kirche zum neuen Identitätsmarker, Kirche und Staat gingen eine enge Allianz ein.» Dabei sei die Religiosität eher «Ausdruck kultureller Identität als eine Form des verinnerlichten Glaubens».

Das bestätigt auch Jörg Stolz: «Russe sein, heisst orthodox sein.» Eine solche Verbindung von Religion und Nationalstolz lasse sich hingegen in der Schweiz kaum beobachten. Zwar argumentierten manche politische Gruppierungen mit Verweis auf die christliche Kultur gegen die (muslimische) Einwanderung, aber diese Erscheinungen seien eher marginal.

Jede Generation ist weniger religiös
Und auch mit einer anderen verbreiteten Meinung räumt der Religionsforscher auf: Es ist nämlich nicht so, dass die Schweizerinnen und Schweizer den traditionellen Kirchen den Rücken kehren und dafür Zuflucht in Freikirchen oder anderen Religionen suchen. «Wir beobachten vielmehr, dass die Säkularisierung von Generation zu Generation zunimmt», führt Stolz aus.

«Wir finden auch keine Hinweise darauf, dass dieser Säkularisierungstrend durch alternative Spiritualität oder ein ‹believing without belonging› aufgefangen würde.» Auch die Bemühungen der traditionellen Landeskirchen, der Säkularisierung entgegenzuwirken – etwa mit Gottesdiensten für Motorradfahrer oder Hundehalterinnen – hätten keine Trendwende eingeleitet.

Ist also zu erwarten, dass die Generationen nach uns völlig areligiös sind? Dazu hält eine neue Untersuchung über Religionstrends in der Schweiz fest (an der auch Jürg Stolz mitgewirkt hat): «Die bisher beobachteten Trends (… ) sind keine Naturgesetze. Der Bedarf nach Sinn, Gemeinschaft und zivilgesellschaftlichem Engagement in einer ausdifferenzierten, individualisierten und vor allem zunehmend mediatisierten Gesellschaft wird eher steigen.»

Astrid Tomczak, reformiert.info

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