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«Der Text ist ein wesentlicher Bestandteil der Komposition»

von Hans Herrmann, reformiert.info
min
06.12.2022
Die Musik kling schön, aber der Text ist kaum verständlich: So präsentiert sich die Lage bei Werken von Johann Sebastian Bach. Der Chorleiter und Theologe Simon Jenny schafft Abhilfe.

«Nun seid ihr wohl gerochen / An eurer Feinde Schar, / Denn Christus hat zerbrochen, / Was euch zuwider war.» So sang der Chor, und es war wunderschön. Aber, um Himmels willen: Was genau haben die da gesungen? Es war Deutsch, aber trotzdem unverständlich. Barockes Theologendeutsch halt. Dafür ging die Musik zu Herzen, und das ist ja bei der Aufführung eines geistlichen Werkes zentral. Der Text ist Nebensache, den muss man gar nicht verstehen.

So denken viele, die Konzerte besuchen, und so denken viele, die selber in Chören mitwirken. Simon Jenny aber denkt anders. «Der Text ist ein wesentlicher Bestandteil der Komposition, er sollte von den Ausübenden und vom Publikum verstanden und zusammen mit der Musik gewürdigt werden», betont er. Gerade bei geistlichen Werken, die zu einem bestimmten Anlass aufgeführt würden, sei dies zentral. Denn solche Kompositionen wollten auf ihre ganzheitliche Art nicht nur Ohrenschmaus und Seelenbalsam sein, sondern letztlich auch Verkündigung.

Versteht ein heutiges Publikum das Deutsch aus der Epoche Bachs und die Theologie, die dahintersteckt, nicht mehr, wird es aber schwierig. Gerade in der heutigen Zeit, in der biblisches Grundwissen nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Deshalb greift Simon Jenny, der sowohl Theologe als auch Musiker ist und somit gleichermassen bewandert in Wort und Ton, in die Texte ein und verändert sie in aller Behutsamkeit und theologischer Umsicht passagenweise so, dass ihre Botschaft wieder zum Tragen kommt.

Martin Luther dichtet mit
Wie im Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, das Jenny mit der Thuner Kantorei und der Chorgemeinschaft Unterseen im diesjährigen Advent aufführt. Die eingangs erwähnten Choralworte hat er so umgeschrieben: «Heut steht das Tor uns offen / zum schönen Paradies. / Der Cherub steht nicht mehr davor. / Gott sei Lob, Ehr und Preis.» Hierzu griff er auf Formulierungen in Nikolaus Hermanns Liedtext «Lobt Gott, ihr Christen» zurück.

Und statt des originalen Wortlauts «Tod, Teufel, Sünd’ und Hölle / Sind ganz und gar geschwächt; / Bei Gott hat seine Stelle / Das menschliche Geschlecht» singen die Aufführenden im Schlusschoral nun «Ja, Lob sei ihm, dem Höchsten, / der uns schenkt seinen Sohn. / Es freuet sich der Engel Schar / und singt solch neues Jahr. / Halleluja!» Frei nach der letzten Strophe von Martin Luthers berühmtem Lied «Vom Himmel hoch».

Auf die Kernbotschaft fokussieren
Die Aufführung des Weihnachtsoratoriums endet in der Textversion von Simon Jenny also in lauter Freude und Jubel, ganz ohne «Teufel, Sünd’ und Hölle». Sind solche Eingriffe zulässig? Ja, findet der Bearbeiter. Weil so die Botschaft des Werks auch einem heutigen Publikum deutlich werde, einem Publikum, das sich unter Teufel und Hölle zwar nach wie vor etwas vorstellen, diese Begriffe aber theologisch kaum mehr einordnen könne.

Aus diesem Grund fokussiert Jenny lieber auf die Kernbotschaft des Oratoriums: auf die grosse Freude über die Geburt eines Kindes. Diese Freude, dieser Jubel solle unverstellt erlebbar sein. Damit das Geschehen im Oratorium noch deutlicher wird, lässt Jenny zusätzlich einen Sprecher mit kurzen ein- und überleitenden Texten auftreten.

 

«Wenn die Sängerinnen und Sänger verstehen, was sie singen, kommen sie beim Publikum noch besser an.»
Simon Jenny, Chorleiter und Theologe

 

Eigentlich müssten, findet Simon Jenny, theologisch bewanderte Dichter und Literatinnen sich der alten Texte annehmen und sie modern umdichten, im Einklang mit der ursprünglichen Botschaft und unter Beachtung heutiger Sprachgewohnheiten. «So liesse sich die hohe Qualität der Musik mit einer ebenso hohen Textqualität verbinden – und vielleicht käme auch der Reim wieder zum Tragen, bei meinen Eingriffen fällt er zuweilen weg.»

Jenny weiss, dass es in Musiker-, Theologen- und Musikliebhaberkreisen durchaus Leute gibt, welche die Bearbeitung von Originaltexten geistlicher Kompositionen aus Gründen der Werktreue ablehnen. Zugleich ist er überzeugt: «Wenn Choristinnen und Choristen bearbeitete Texte singen und deshalb auch verstehen, was sie singen, kommen sie beim Publikum noch besser an.» Deshalb würden Aufführungen mit modernisierten Texten aus seiner Erfahrung mehrheitlich geschätzt – und seien in Thun, wo er wirkt, unterdessen «schon fast zu einer Marke geworden».

Hans Herrmann, reformiert.info

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