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Vom Heimkind zum Mäzen

von Reinhold Hönle und Stefan Degen, kirchenbote-online
min
18.01.2023
Guido Fluris Kindheit war geprägt von Schicksalsschlägen und Stigmatisierung. Nach einer Tellerwäscherkarriere setzt er sich heute für Benachteiligte und die Wiedergutmachung für Verdingkinder ein. Er erzählt, was ihn antreibt, jährlich Millionen für wohltätige Zwecke einzusetzen.

Noch als Erwachsener beschlich Guido Fluri panische Angst, als er im Laden das Portemonnaie hervorkramte: Reicht das Geld? Der Reflex wurzelt in Fluris Kindheit. Seine psychisch kranke Mutter traute sich nicht aus der Wohnung und schickte den kleinen Sohn raus, um Besorgungen zu erledigen. «Sag im Laden, sie sollen es aufschreiben», trug sie ihm auf.

Schwerer Start ins Leben
Guido Fluris Start ins Leben ist schwer. Er kommt 1966 in Olten als uneheliches Kind seiner sechzehnjährigen Mutter zur Welt – im erzkatholischen Umfeld damals eine Stigmatisierung. Kurz nach seiner Geburt erkrankt seine Mutter an Schizophrenie. Fluri wird an verschiedenen Orten fremdplatziert. Einer ist das Kinderheim Mümliswil, das heute eine Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder ist. Schliesslich kommt er zu seinen Grosseltern.

Doch weitere Schicksalsschläge folgen. Erst stirbt der Grossvater, zwei Jahre später brennt ihr Wohnhaus ab. Als dann noch der geliebte Onkel mit 24 bei einem Autounfall ums Leben kommt, zieht es dem zwölfjährigen Guido vollends den Boden unter den Füssen weg. In der Schule gibt man ihm zu verstehen, aus ihm werde sowieso nie etwas. «Der Lernstoff ging einfach nicht rein», erinnert sich Fluri. Er muss mehrmals die Klasse wiederholen, bricht die erste Lehre als Spengler ab und beginnt eine zweite als Tankwart.

Das Gebet gibt Orientierung
Halt fand Fluri im christlichen Glauben. «Das Gebet gibt mir Orientierung», sagt er, und stellt rückblickend fest: «Eigentlich hat Gott mich immer beschützt». Aber er stelle sich auch Fragen: «Weshalb muss es sein, dass Menschen leiden?» Und wenn er die Bergpredigt lese, stelle er fest: «Die Messlatte ist gewaltig hoch.» Das bringe ihn immer wieder auf den Boden. «Habe ich es überhaupt verdient, Christ zu sein», frage er sich in solchen Momenten.

Guido Fluris Tellerwäscherkarriere beginnt mit Disziplin und dem Riecher für eine gute Gelegenheit. Während seiner Lehre als Tankwart legt er die Trinkgelder beiseite. Als günstig ein Stück Bauland zum Verkauf steht, reicht das Beiseitegelegte für einen Bankkredit – Fluri greift zu. Später kann er das bebaute Land gewinnbringend verkaufen – die Basis für sein Immobilien- und Firmenimperium ist gelegt. Heute gehört er laut «Bilanz» zu den 300 reichsten Schweizern.

Krankheit als Auslöser für Wohltätigkeit
Mit 41 Jahren wird bei Guido Fluri ein seltener Hirntumor diagnostiziert. Das war der Auslöser für sein wohltätiges Engagement. Denn Fluri begann, sich Informationen zu beschaffen, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen. «Ich merkte, dass mir das die Angst nimmt.» Darauf regte er eine länderübergreifende Plattform für die Erforschung von Schädelbasistumoren an und finanzierte sie.

Nach und nach kamen weitere Projekte hinzu. «Spenden ist nicht nur eine Frage des Geldes», beschreibt Fluri seine Motivation. «Es geht darum, in der Gesellschaft eine Veränderung zum Guten zu bewirken.» 2014 lancierte er die Wiedergutmachungsinitiative, die eine Entschädigung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen forderte. Andere Lebensgeschichten zu hören und etwas bewirken zu können, half Fluri, seine eigene Kindheit zu verarbeiten. Heute könne er ohne Verbitterung zurückblicken. «Das wäre vor 15 Jahren undenkbar gewesen.»

Meldestelle für Pädokriminalität
Für den Kindesschutz engagiert sich Guido Fluri in diversen Projekten. So hat er eine Meldestelle für Pädokriminalität im Internet geschaffen. Und er hilft, wenn plötzlich Not am Mann ist. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie lieferte er zusammen mit evangelischen Kirchen Europas Sterilisationsboxen und Covid-Tests ins Flüchtlingslager Moria auf Lesbos und initiierte ein Mutterhaus. «Wenn man die Situation in den Zeltlagern vor Augen hat, mit hunderten Geburten jährlich, dann weiss man: Die sind schutzlos.»

Alles Leid könne er nicht beheben, stellt Fluri nüchtern fest. «Aber ich versuche, aus dem Kleinen heraus etwas zu bewegen, weil ich mich in Menschen hineinversetze und nachvollziehen kann, wie sie sich fühlen.»

 

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