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Poetische Mitbringsel aus der Stille

von Christian Kaiser, reformiert.info
min
24.01.2023
Marianne Vogel Kopps Gedichte berichten konzis von der Notwendigkeit eines neuen Denkens für eine neue Erde. Die gefragte Rundumerneuerung fusst in einer kontemplativen Lebenshaltung, die innere Räume ganz auslotet.

Da kennt sich eine aus auf dem mystischen Weg. Und präsentiert nicht nur einen Stufenplan der Gottsuche, sondern auch die derart gewonnenen Erkenntnisse in Gedichtform: «eine kurzformel / für gutes leben / gutes handeln / stop look go / innehalten / hinschauen handeln».  Marianne Vogel Kopp legt ihren Gedichten auch gleich eine Gebrauchsanweisung bei, wie das «dem heiligen lauschen» funktioniert. Und hier spricht dann auch kommentierend und lebenspraktisch unterweisend mehr die freiberufliche Theologin als die Dichterin.

Erste Stufe: neu denken
Die erste Station auf ihrer sechsstufigen Treppe der Mystik heisst: «Neue Denkräume ertasten». Als Denkanstoss, die alten Denkgebäude zu überdenken und sich auf neue Sichtweisen einzulassen, stellt sie jedem Kapitel zwei Zitate voran. Den ersten Schritt einleitend zitiert sie eine gewisse Katharina Ceming, die uns daran erinnert, dass unser Alltag zu einem guten Teil «aus Fluchtverhalten» bestehe, damit wir «nie mit unserer innersten Wirklichkeit in Berührung kommen».

Das, was der Mystiker sucht, flieht der Alltagsmensch: die höhere innere Wahrheit. Die neuen Denkräume sind darum prima vista abschreckende Geisterbahnen; schliesslich verbringen wir ein Leben lang damit, Gedankengebäude zu errichten, in welchen wir Schutz und Halt finden ­– sie verlassen zu müssen fühlt sich erst einmal nach einem Schreckgespenst an. Aber es ist nötig, wie Vogel Kopp mit einem Zitat von Richard Rohr unterstreicht. Und so wird man in diesem Buch gedanklich erst einmal aus der warmen Stube in die eisige Winterwelt hinausgejagt.

Die fünf Räume im Innern
Rohr erinnert uns daran, dass die erste und wichtigste Botschaft Jesu an uns (Mt 4,17; Mk 1,15) immer wieder falsch übersetzt worden sei. Jesus sei es weder um Busse noch um Bekehrung gegangen. Vielmehr sei «metanoia» schlicht ein Aufruf zur Veränderung: «Ändert euer Denken!» habe Jesus verlangt. Das wird bei Vogel Kopp zum Programm. Die erste Einladung zum Glauben sei « ... die aufforderung / ein neues sehen / zu lernen / das was ist / neu zu denken / weit über den verstand / hinaus».

Der Autorin zufolge sind die «neuen Denkräume», die es zu ertasten gilt, der eigene «Innenraum», der «Schattenraum», der «Herzraum» sowie der «Zwischenraum» und nach diesem Erkundungsgang stellt sich der Zustand des «Ganz da seins» ein. Und in diesen Räumen findet die Lyrikerin auch ihre Gedichte und ordnet sie diesen zu.

Ein poetischer Erkenntnisweg
Der mystische Weg von Vogel Kopp ist ein Weg der Erkenntnis: «erkenne dich / als wesen zweier welten / dringe zum wesen vor / das tiefe und höhe bewohnt» formuliert sie, um gleichzeitig zu warnen «nicht dass dann alles einfach wäre ...» aber etwas einfacher wird es eben doch: «... und immer öfter gelingt der spagat». Diese «zwei seiten desselben» tauchen auch an anderer stelle auf, als «aussen wie innen», als «beidseits heilen hegen bewahren» und führen zum schluss «... du bist / was du denkst / was du sagst / was du wagst».

An solchen Formulierungen merkt man: Diese Dichterin ist eine Meisterin der Verknappung. Mit ganz wenigen Zeichen entstehen Szenen, Widersprüche tun sich auf, Wahrheiten zeigen sich. Vogel Kopps Dichtung ist rund und zugänglich und klar, was sie zu sagen hat, braucht sich auf der Ebene der Formulierungen nicht hinter Kryptischem zu verstecken, kommt leichtfüssig flüssig daher, ist extrem reduziert und auf den Punkt gebracht. Da scheint kein Yota zuviel. Obwohl sie weiss, dass das «überflüssige lebensnotwendig ist»: ein lächeln ..., ein vogelruf ..., eine berührung ..., ein löffelchen honig ... Auch «eine gedichtzeile / draufgesetzt» ist im grunde überflüssig, aber eben doch Lebenselixier.

Zuflüge und Fundstücke
Was die Lyrikerin da dem Heiligen ablauscht, hat Substanz, ist Essenz. Der Leser fühlt sich angesprochen, gespiegelt auf seinem suchenden Weg. Manchmal ist da vielleicht ein Hauch von Dozieren, von Unterbreitenwollen von Gelerntem, nicht alles scheint reiner Zuflug aus der Stille. Aber oft genug bescheren diese Gedichte in ihrer Dichte ein Gefühl von Wiedererkennen, Wiederlesen, Wiederhören, Wiederfühlen von Wahrheiten, die irgendwo in einem schlummerten, und von denen man nicht gewusst hatte, dass man sie irgendwoher schon kennt, vielleicht nur vergessen hat.

Das ist das Moment der tiefen Berührung, da ahnt man eine Verwandtschaft mit der Autorin, aber auch mit allem Menschlichen und Lebendigen. Ein existenzielles Aha-Erlebnis stellt sich ein, ein Verbundenheitsgefühl, mit dem, was heilig ist. Mehr kann man von Dichtung weder wünschen wollen noch erwarten. Diese Gedichte sind Fundstücke auf dem mystischen Weg und sie aufzunehmen und wirken zu lassen dient gleichzeitig als Ermunterung, auf ihm zu gehen.

Das Rezept: Ein hörendes Herz pflegen
In ihrer Einleitung empfiehlt die freiberufliche Theologin nicht weniger als eine ganzheitlich-kontemplative Lebenshaltung, welche ihre Kraft aus der «unerschöpflichen Quelle des Lebens selbst» beziehe. Diese Haltung sei im Schweigen beheimatet und ziele auf das Hinhören auf das «gottempfängliche Herz» ab – und das ermögliche das Angeschlossensein an die Kraftquelle: «Nur scheinbar paradox kommt diese Kraft aus dem Nichtstun, aus dem stillen Lauschen auf das Heilige.»

Das neue Denken, das Innehalten und ganz Ohr sein bescheren einem besondere Innenansichten. Das, was Jesus fordert, ist für die Dichterin «ein Denken mit dem Herzen», ein «Umschalten auf ein anderes Betriebssystem» – der Kontrollaufgabe, des Loslassens, des Annehmens. Das Markenzeichen dieses Systems heisst: «Dein Wille geschehe!», das ist letztlich das Umschaltmoment für die wahrhaftige Veränderung.


Marianne Vogel Kopp: dem heiligen lauschen. Gedichte aus der Stille. TVZ 2022, 118 Seiten, Fr. 19.80

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