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«Verschwörungserzählungen sind einfach und darum attraktiv»

von Nadja Ehrbar, reformiert.info
min
25.01.2023
Das National Coalition Building Institute NCBI lanciert einen Workshop zum Umgang mit Verschwörungserzählungen. Dessen Ko-Geschäftsleiter Andi Geu sagt, wann ein solches Narrativ gefährlich ist und wie man damit umgehen kann.

Herr Geu warum glauben Menschen an Verschwörungserzählungen?
Verschwörungserzählungen sind attraktiv, weil sie in der Regel alles andere als komplex sind. Es sind einfache, logische Erklärungen. Wer sie glaubt, muss sich nicht mit verwirrlichen Grautönen auseinandersetzen.

Was sind das für Leute, die an solche Erzählungen glauben?
Das ist schwierig zu sagen, weil es sich um ganz unterschiedliche Menschen handelt. An den Corona-Protesten hat man aber gesehen, dass es oft auch gebildete und gut situierte Leute sind. Und in der Regel sind ihre Grundbedürfnisse gedeckt – sonst hätten sie gar nicht die Ressourcen, sich mit Verschwörungserzählungen auseinanderzusetzen.

Und weshalb haben solche Erzählungen gerade in Krisenzeiten wie in einer Pandemie Hochkonjunktur?
Dafür gibt es wohl verschiedene Gründe. Salopp gesagt: Wenn alles gut läuft, hat man kein Bedürfnis nach Erklärungen, sondern eher, wenn man sich Herausforderungen stellen muss. Etwa zu Beginn der Corona-Pandemie, als das Sozialleben eingeschränkt war. Das hat den Boden für Verschwörungserzählungen bereitet. Man sucht sich dann oft auch einen Sündenbock, auf den man zeigen kann.

Und das sind dann eben Juden oder Muslime. Weshalb gerade diese zwei Menschengruppen?
Ich kann die Frage besser in Bezug auf judenfeindliche Verschwörungserzählungen beantworten, da ich mich mehr damit auseinandergesetzt habe. Schauen wir die Geschichte der Judenfeindlichkeit an, so gibt es eine frühe Phase, die stark religiös, also christlich, geprägt war. Das heisst: Die Juden wurden für den Tod von Jesus verantwortlich gemacht. Sie sind die Sündenböcke und diese Rolle hat sich in den Köpfen festgesetzt. Das Denkmuster wurde im Laufe der Zeit immer wieder bewirtschaftet.

Wie ist es mit den Muslimen und dem Islam?
Eine gewisse Grundangst vor dem Islam als grosser Unbekannter existiert schon länger. Sie liesse sich auch mit geschichtlichen Ereignissen wie dem Osmanischen Reich oder den Türken vor Wien begründen. Doch richtig aktuell wurde es mit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Diskurs über den Terrorismus. Plötzlich macht der Islam als Ganzes Angst und wird mit Terrorismus und Gefahr verbunden.

Sind Verschwörungserzählungen auch bei Muslimen und Juden verbreitet?
Ja, definitiv. Unser neuer Workshop zum Umgang mit Verschwörungserzählungen entstand aus dem Projekt «Respect» des Vereins NCBI Schweiz, der sich für den Abbau von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung einsetzt. Es geht nicht darum, sich zu den religiösen Praktiken auszutauschen, um sie besser zu verstehen. Sondern um das Zusammenleben. Dieses wird durch den Nahost-Konflikt beeinflusst. Wenn es in Israel und Palästina zu Spannungen kommt, belastet das auch die Beziehung zwischen den beiden Gemeinschaften in der Schweiz.

Was wollen Sie mit dem Workshop «(Un-)Glaubwürdig? Umgang mit Verschwörungs-Erzählungen lernen» erreichen?
Einerseits sollen Teilnehmende ein besseres Verständnis dafür entwickeln, was Verschwörungserzählungen sind. Sie sollen eine Art Checkliste erhalten, mit der sie einschätzen können, ob eine Information glaubwürdig ist oder nicht. Andererseits wollen wir ihnen zeigen, wie sie das Gespräch suchen oder online reagieren können, ohne dass es frustrierend ist.

Wie meinen Sie das?
Viele Interaktionen mit Menschen, die Verschwörungserzählungen verbreiten, sind frustrierend, so dass man nach ein- oder zweimal aufgibt. Man trifft sich weniger oder geht auf ein bestimmtes Thema nicht mehr ein. Eines unserer ambitioniertesten Ziele ist es, die Leute zu motivieren, weiterhin mit diesen Leuten zu sprechen.

Waren Sie selbst schon mit Verschwörungserzählungen konfrontiert?
Bisher kam es noch nie vor, dass jemand, der mir nahestand, solche Erzählungen verbreitet hat.

Und was tun, wenn doch?
Ich rate, empathisch herauszufinden, worum es geht. Also nicht darüber zu diskutieren, ob etwas wahr ist oder nicht, sondern welches Gefühl dahintersteckt. Ist es Angst, Sorge, Wut, Verunsicherung? Und dann versuchen, diesem Gefühl etwas entgegenzusetzen.

Wie ist das bei Personen, denen man im Netz begegnet?
In diesem Fall ist unsere Strategie die Gegenrede. Also sichtbar machen, dass es andere Meinungen gibt und es sich nicht um unbestrittenes Wissen handelt. Allerdings würde ich lange Diskussionen vermeiden.

Wann sind Verschwörungserzählungen gefährlich?
Dann, wenn sie zu Handlungen führen, die sich gegen jene richten, die für das Böse verantwortlich gemacht werden. Wenn also im Extremfall eine Attacke im Raum steht.

 

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