Preisträger Kermani: Gebet statt Applaus
Am Ende der Rede herrschte Stille. Navid Kermani hatte zum Gebet eingeladen für entführte Christen in Syrien in den Händen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). «Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen», sagte Kermani an der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt.
Navid Kermani bat darum, für die in Syrien entführten Pater Jacques Mourad und Paolo DallOglio sowie weitere verschleppte Christen zu beten. Und: «Beten Sie oder wünschen Sie sich die Befreiung aller Geiseln und die Freiheit Syriens und des Iraks.» Das waren die Worte des in Siegen geborenen Muslims Kermani, die Festgemeinde folgte ihm und erhob sich.
«Gleichgültigkeit des Westens und Niedergang des Islams»
Die Verleihung des mit 25 000 Euro dotierten Friedenspreises war der Höhepunkt der Frankfurter Buchmesse. Den Preis vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 1950 als einen Beitrag zur Völkerverständigung.
In diesem Sinne war auch Kermanis Dankesrede zu verstehen. In weiten Teilen widmete er sich Pater Jacques Mourad, der vom IS in Syrien entführt und erst vor rund einer Woche freigelassen worden war. Der ebenfalls verschleppte Jesuitenpater Paolo DallOglio bleibt bislang verschwunden. Er hatte sich um den Dialog von Christen und Muslimen bemüht. Kermani prangerte den IS und eine Gleichgültigkeit des Westens an, sprach aber auch von einem Niedergang des Islams.
Die meisten Muslime lehnten Gewalt ab, betonte der 47-Jährige. Es sei ein Trugbild, dass der Islam einen Krieg gegen den Westen führe. «Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartografie an die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs heranreichen dürften.»
«Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion»
Der Schriftsteller sprach von einem «religiösen Faschismus». Die Gräueltaten seien «nicht der Beginn, sondern der vorläufige Endpunkt eines langen Niedergangs, eines Niedergangs auch und gerade des religiösen Denkens». In der heutigen religiösen Kultur finde sich nichts, «das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stiess», so der Islamwissenschafter.
Die Vergangenheit dieser Religion sei «so viel aufklärerischer» gewesen, sagte Kermani. «Vielleicht ist das Problem des Islams weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie.» Kermanis düsteres Fazit: «Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion.»
kath.ch
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