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Frieden bleibt möglich

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01.01.2016
Der Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen rückt den Frieden in weite Ferne. Trotzdem ist das Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern möglich, wie das Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam zeigt.

Während über Israel Raketen aufsteigen, im Gazastreifen Granaten Unzählige töten und verletzen, leben in einem kleinen Dorf zwischen Tel Aviv und Jerusalem, palästinensische und jüdische Israelis friedlich zusammen. 1970 gegründet, setzt sich das Friedensdorf Neve Shalom oder Wahat al-Salam (Oase des Friedens) für die Gleichberechtigung und Verständigung zwischen beiden Völkern ein. Heute wohnen dort mehr als 60 Familien.
Im Moment sei es äusserst schwierig, in Israel das Thema Frieden anzuschneiden, erzählt Evi Guggenheim Shbeta. Sie selbst ist in den 70er-Jahren nach Israel ausgewandert und lebt heute in Neve Shalom. «In Israel hatten wir ja noch nie einen richtigen Frieden. Doch wenn Menschen aufeinander schiessen, verhärten sich die Fronten.»

Juden und Palästinenser sind gleichberechtigt
Für Neve Shalom, das sich in der Friedensbewegung engagiert, ist dies problematisch. Wer nicht ins gleiche Horn stösst und den Einsatz der Armee unterstützt, wird rasch verdächtigt, die nationalen Ziele zu verraten. Für die Psychotherapeutin ist dies verständlich. Im Krieg sehe man den anderen nur als Feind. Man erkenne nicht, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten in Frieden leben will. «Hinzu kommt, dass der Rechtsextremismus in Israel wie überall auf der Welt zugenommen hat.»
Im Friedensdorf tragen Palästinenser und Juden gleichberechtigt Verantwortung. Ihre Kinder besuchen die gleichen Schulen und Krippen. Die Unterrichtssprache ist Hebräisch und Arabisch. In der Schule lernen die Kleinen und Jugendlichen die Kultur und Tradition der anderen kennen und achten. Im Moment werden die Mitarbeiter von Neve Shalom oft gefragt, wie es gehe. Evi Guggenheim Shbeta spürt hinter dieser Frage die Hoffnung, dass das friedliche Zusammenleben doch noch möglich ist, wie auch die Angst, dass die Kriegsrealität Neve Shalom/Wahat al-Salam einholt und zerstört. «Die letzte Zeit war für Juden wie Palästinenser emotional schwierig», räumt sie ein.
Um nicht in der Ohnmacht und Hilflosigkeit unterzugehen, treffen sich die Bewohner und Mitarbeiter derzeitig einmal in der Woche und sprechen über ihr Befinden und ihre Gefühle. Dieser Austausch und die gemeinsame Planung von Friedensaktionen und humanitärer Hilfe sei die beste Medizin gegen die Ratlosigkeit und den Hass, in die der Krieg die Menschen treibe, erklärt Guggenheim Shbeta. Viele in Israel hätten kaum noch Kontakt zur anderen Seite.

Die andere Seite sehen
Der negativen Spirale von Gewalt, Ohnmacht und Ratlosigkeit entkomme man, wenn man nicht einseitig Stellung beziehe, sondern auch das Leiden und den Schmerz auf der anderen Seite sehe, ist Evi Guggenheim Shbeta überzeugt. Natürlich sei das Leiden nicht symmetrisch, erklärt sie. Es sei verheerend, was die israelischen Bomben im Gazastreifen angerichtet haben. Aber Einseitigkeit entfache nur neues Feuer.
In Neve Shalom gibt es fünf verschiedene Institutionen für pädagogische Friedensarbeit. Im Moment gleicht das Engagement der Friedensaktivisten dem Kampf von David gegen Goliath. «Hinter der Kriegsmaschinerie stehen grosse Interessen, angefangen bei der Waffenindustrie bis hin zum Machtkalkül der politisch Verantwortlichen», meint Evi Guggenheim Shbeta.
Wenn nur ein Bruchteil der Milliarden, die der Krieg verschlingt, in Friedensprojekte investiert würde, sehe heute die Situation anders aus, ist sie überzeugt. «Wie man Frieden schafft, das erleben wir jeden Tag in Neve Shalom.» Doch es fehle das Geld für Projekte, etwa für Seminare, in denen Jugendliche aus beiden Lagern zusammenkommen und miteinander reden, bevor sie die Armee einzieht und sie sich gegenseitig umbringen. «Ein wenig Geld und guter Wille könnten vieles verändern.»
Was erwartet Evi Guggenheim Shbeta vom Westen? Von Europa erhofft sie sich, dass es stärker die Friedensprojekte in
Israel, in Gaza und den besetzten Gebieten unterstützt. «Auch auf palästinensischer Seite gibt es viele, die den Krieg beenden wollen.»
Von der Kirche wünscht sie sich, dass sie in den Konfliktgebieten bei Menschenrechtsverletzungen Stellung beziehen. Gerade ihr Staat Israel verstosse in den letzten Jahren immer wieder gegen Menschenrechte, meint die Friedensaktivistin. Darüber zu reden sei schwierig. Viele Israelis, deren Kinder in der Armee sind, hätten Angst, dass diese getötet oder verletzt werden könnten. «Trotzdem dürfen wir nicht schweigen.»

Tilmann Zuber

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27.11.2014: Leserbriefe

Links:
Weitere Informationen: www.wasns.orgSchweizer Freunde von Neve Shalom / Wahat al Salam: nswas.ch

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