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«... dann darf man das ein Wunder nennen»

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24.03.2016
In der christlichen Geschichte haben die Osterfeiertage eine ganz besondere Bedeutung. Was haben uns Karfreitag und Ostern in der heutigen Zeit zu sagen? Eine Einordnung des Theologen Matthias Krieg.

Ostern ist ein zentrales Fest des Christentums. Worin liegt seine Bedeutung heute, im Jahr 2016?
Es geht um Tod und Leben. Karfreitag ist der Tag der Erinnerung an den Tod, Ostersonntag der Tag der Erinnerung an das Leben. Tod und Leben haben den Menschen immer etwas zu sagen, sie gehören zu unserm Alltag. Das zeigen auch die aktuellen Ereignisse mit den schrecklichen Anschlägen in Brüssel. Der Tod kann mitten ins Leben einbrechen. Menschen brachen auf, um über Ostern irgendwohin zu fahren und gerieten plötzlich in den Tod.

Das Geheimnis der Auferstehung, dieses Wunder – wie ist das einem rationalen Menschen des 21.Jahrhunderts zu vermitteln?
Das ist nicht ganz einfach, weil wir das Gefühl dafür, was Religion ist und was sie einem zu sagen hat, weitgehend verloren haben. Auch Ostern ist heute stark zu einem Konsumanlass geworden – auf Kosten eines tiefgründigeren Nachdenkens über ihre Bedeutung. Zum Leben und Tod: Wenn man die beiden als verschiedene Zeiten versteht, die nacheinander kommen - solange ich lebe, ist der Tod nicht da, danach kommt der Tod und das Leben ist nicht mehr da – dann ist Auferstehung etwas schwer Verständliches.

Ostern also ein Anlass, mehr oder anders über den Tod nachzudenken?
Ja, genau. Das kann alle jederzeit persönlich betreffen. Ich kann eine Krebsdiagnose erhalten, einen Unfall erleiden oder die Stelle verlieren, dann bin ich plötzlich mitten im Tode. Tod ist nicht erst, wenn ich nicht mehr atme und der Arzt alle Geräte abgeschaltet hat, sondern Tod ist, wenn ich im Leben erlebe, wie das Leben so gemindert wird, dass fast nichts mehr da ist.

Der Tod ist nachvollziehbar, aber bei der Auferstehung ist das schwieriger.
Glaube richtet sich ja nicht auf Tatsachen, ist Für-wahr-halten von Tatsachen. Das war Glaube nie, in keiner Religion. Der Glaube denkt in Bildern. Auferstehung ist ein Bild, in dem Erfahrung steckt. Ich denke in einer ausweglos erscheinenden Situation, es ist fertig mit mir – und plötzlich merke ich, dass ich wieder aufstehen kann. Es geht ja eigentlich um Aufstehung. Irgendwann wurde das blöde «er» dazwischengesetzt. Aufstehung ist eine Erfahrung, die jeder Mensch machen kann – jede und jeder hat solche Beispiele in seiner Biografie erlebt.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Wer durch die Matura fällt, fühlt sich als Versager, als ein Nichts. Genauso ist es nach einem Knick in der Karriereleiter. Oder nach einer Scheidung, dann, wenn ein ganzes Projekt von zwanzig Jahren mit Liebe, Haus, Kindern, Garten auseinanderbricht. Dann steht man vor dem Nichts. Und was ist ein Nichts anderes als Tod? Ein Tod mitten im Leben. Wenn man das Gefühl hat, es geht nicht mehr weiter, es wird nie mehr gut, ich stecke in einem Tunnel und kein Licht ist in Sicht, dann ist man im Tode. Kommt dann doch Licht am Ende des Tunnels, wie durch ein Wunder, und ich komm wieder raus - das kann lange dauern - dann darf ich das als Auferstehung verstehen: Ich bin wieder am Licht, ich lebe wieder.

Sie erlebten solch eine persönliche Auferstehung, 2013 nach einer niederschmetternden Krebsdiagnose und der späteren Heilung. Kann und soll man eine solche persönliche Erfahrung mit dem biblischen Ostergeschehen in Einklang bringen?
Das ist eine Frage des Glaubens, ob man das will oder nicht. Ich hab das so gemacht.

Das hat Ihnen geholfen?
Ja. Mein Glaube hat mir geholfen. Das heisst nicht, dass ich nicht gekämpft habe und geflucht, wenn ich im Krankenhaus zum x-ten Mal eine Nadel in die Vene bekam. Ich erlebte immer wieder Phasen, wo ich dachte, es geht nicht mehr weiter. Doch mein Glaube hat mir das Gegenteil gesagt. Und wenn es plötzlich wieder aufwärts geht, darf man das ein Wunder nennen. Aber es ist keine Tatsache, sondern mein Erleben, mein Glauben.

Sie haben Ihre Geschichte als Wunder erlebt?
Ja, Leben ist grundsätzlich immer ein Wunder. Das ist uns in der reichen Schweiz vielleicht weniger bewusst. Aber wenn man in Griechenland oder Syrien oder Afghanistan lebt, dann ist das Leben täglich, stündlich ein Wunder. Doch hierzulande haben wir uns leider daran gewöhnt, Leben als selbstverständlich zu nehmen. Das ist vielleicht die wichtige Botschaft von Ostern: Nehmt das Leben nicht so selbstverständlich. Nehmt ernst, dass es den Tod gibt, und versucht, neu über das Leben nachzudenken.

Ostern als Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.
Ich würde eher sagen: Nicht Leben nach dem Tod, sondern Leben trotz dem Tod. Das Leben ist schön, auch wenn es nicht einfach und oft gefährdet ist. Ostern ist eine Feier des Lebens. Doch dazu gehört auch der Karfreitag. Nochmals: Es gibt das Leben nicht ohne den Tod - und umgekehrt. Das ist die Osterbotschaft. Man kann den Tod hinter sich lassen. Dafür muss man aber durch den Tod hindurch.

Ist das, gerade auch in Zeiten des Terrors, die Botschaft?
Es gibt keine Religion, die den Tod feiert. Wenn heute Islamisten so tun, als täte der Islam das, dann dürfen wir das nicht glauben. Es ist nicht der Islam, der solche Gräueltaten verübt. Es sind fehlgeleitete, politisch missbrauchte Menschen, die oft nur wenige Lebensperspektiven haben und in ihrer Ungeduld und Verzweiflung terroristisch werden. Jede Religion feiert das Leben, auch der Islam. Ostern ist das Fest der Versöhnung.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Interview: Stefan Schneiter / reformiert. / 24. März 2016

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