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Flüchtige Berührung mit grosser Wirkung

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07.04.2016
Seit der Händedruck-Affäre in einer Baselbieter Schule gibt die Geste schweizweit zu reden. Die Verweigerung des alltäglichen Rituals löste eine hitzige Diskussion über Werte und Formen des hiesigen Zusammenlebens aus. Höchste Zeit, einen Blick auf die Geschichte des kurzen Körperkontakts zu werfen.

Der Händedruck dauert in der Regel drei Sekunden. Er gehört wie andere Bewegungen, die wir mit den Händen, den Armen oder dem Kopf machen, so das Winken oder das Nicken, zu den Gesten und ist Teil der nonverbalen Kommunikation. Mit dem Handschlag drücken wir etwas aus, begleiten unsere Worte oder lassen ihn allein kommunizieren.

Je nach Situation hat er unterschiedliche Bedeutungen: Begrüssung, Verabschiedung, Dank, Gratulation, Kondolenz, Versprechen, Entschuldigung und einiges mehr. Er ist in der Regel der erste und häufig auch der einzige körperliche Kontakt zweier Menschen. Beide strecken sich dabei die rechte Hand entgegen, ergreifen die andere, drücken sie und schütteln rhythmisch auf und ab. Dabei variiert der Druck, die Dauer, die Art des Schüttelns, der Winkel des Arms und die Körperdistanz. Ein wichtiger Faktor ist auch der Blickkontakt: ob mit oder ohne, kurz oder lang, der Kontakt der Augen ist in jedem Fall eine starke Information.

Handschlag-Dispens löste Empörung aus
In drei Sekunden passiert also viel. So viel, dass der Geste je nach kulturellem, gesellschaftlichem und religiösem Umfeld eine hohe Bedeutung zugemessen wird. So hoch, dass seit Jahrhunderten mit dem gegenseitigen Fassen der Hände Politik betrieben, Macht ausgeübt und Geschichte geschrieben wird. Das alles schwingt mit, wenn derzeit über den «Handschlag-Dispens» im Baselbieter Therwil debattiert wird.

Die Schulleitung musste sich entscheiden: Will sie den beiden muslimischen Jugendlichen erlauben, ihrer Lehrerin nicht mehr die Hand zum Gruss zu reichen? Aus religiösen Gründen, wie ihr Vater, der Imam ist, betont. Der Entscheid zum Dispens löste schweizweit Reaktionen aus. Meist empörte. Selbst Justizministerin Simonetta Sommaruga äusserte sich auffällig pointiert: Nein, auf gar keinen Fall dürften solche Ausnahmen gemacht werden. Das habe mit Religionsfreiheit nichts zu tun. So stelle sie sich Integration nicht vor.

Keine einheitliche muslimische Haltung
Seither müssen sämtliche Islam-Fachleute im Land den Medien Antworten liefern. Gehört sich der Händedruck zwischen Mann und Frau in der muslimischen Welt tatsächlich nicht? Ist die flüchtige Berührung der Handflächen für Männer muslimischen Glaubens schlicht eine Zumutung? Die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji winkt ab: «Ob Männer den Frauen die Hand geben oder nicht, ist nicht in erster Linie eine religiöse Frage, sondern eine kulturelle. Auch bei den Muslimen gibt es dazu keine einheitliche Haltung.» So gebe beispielsweise ein saudischer Geschäftsmann im beruflichen Kontext einer Frau ganz selbstverständlich die Hand, auch wenn die Begrüssung im privaten Rahmen normalerweise ohne Händeschütteln stattfindet. «Auch unter Moslems kann der Händedruck zwischen Männern und Frauen notwendig sein, um seinen Respekt auszudrücken. Auch gibt es regional starke Unterschiede. In der Türkei und in Bosnien beispielsweise ist der Handschlag durchaus üblich.»

Geste des Friedens und des Respekts
Woher der Handschlag genau kommt, wurde bisher nicht präzise erforscht. Wie in Jochen Mais «Karrierebibel.de» nachzulesen ist, hätten Wissenschaftler die Spur bis ins fünfte Jahrhundert vor Christus zurückverfolgt. Im historischen Griechenland sei er das erste Mal in Erscheinung getreten, als Geste des Friedens. Wer sich die Hand reichte, drückte damit aus: sieh her, ich halte keine Waffe in der Hand, ich komme nicht in kriegerischer Absicht. Später habe sich die Geste immer mehr zum Begrüssungsritual entwickelt, das Vertrauen ausdrücken und schaffen sollte und auch von gegenseitigem Respekt zeugte.

Letztendlich ein Genderproblem
Im christlich geprägten Alltag sei der Handshake heute eine rein profane Geste, sagt Axel Knauf, Theologieprofessor an der Universität Bern. Aber auch im Christentum habe es Zeiten gegeben, in denen die Berührung der Hände durchaus eine religiöse Dimension hatte. So sei es im Mittelalter verboten gewesen, sogenannten Ketzern nach der Exkommunikation, also dem Ausschluss aus der Kirche, die Hand zu geben. Auch die religiös begründete Terrorisierung der Frau sei bei Christen bekannt. Bis heute dürften ja in einigen konservativen Sekten die Frauen nicht ohne Kopftuch im öffentlichen Raum auftreten. «Genderprobleme finden sich in allen Religionen. Und die aktuelle Debatte, dass muslimische Männer den Frauen nicht Hand geben sollen, ist ein Gender- und kein religiöses Problem.»

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Katharina Kilchenmann / reformiert.info / 7. April 2016

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