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Lehren und lernen für ein «anderes» Leben

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06.05.2016
Am Weltlehrertag sprach Lonza-Chef Rolf Soiron vor 1000 Lehrpersonen am Goetheanum darüber, wie Schule und Bildung der Digitalisierung und der zunehmenden Beschleunigung begegnen könnten.

«Ein Wandel, wie ihn die Menschheit noch nie erlebt hat»: Unter diesen Leitsatz stellte Rolf Soiron, Präsident der Lonza-Gruppe, in seinem Referat die Entwicklungen, die in den nächsten Jahrzehnten auf jene zukommt, die heute die Schulbank druücken. Gemeint ist damit die vierte industrielle Revolution, die Digitalisierung der Welt. «Zwei Drittel aller Lehrabgänger werden in einem Beruf pensioniert, den es heute noch nicht gibt», stellte Soiron fest. Soiron nannte das Beispiel der künstlichen Intelligenz. «Auf koreanischen Werften werden schon heute ganz Schiffe von Robotern verschweisst.» Fachleute wie Stephan Hawkin und Elon Musk warnten davor, dass die künstliche Intelligenz die menschliche bald übertreffen werde.

Für welches Leben lernen wir?

«Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir», sagte Seneca. «Aber für welches Leben?», fragte Soiron. Denn ein zweites Phänomen der vierten industriellen Revolution wird sich auf Schule und Ausbildung auswirken: die Beschleunigung. Dazu zitierte Soiron Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google: «Gemessen am Fortschritt des Jahres 2000 dauert das 21. Jahrhundert nicht 100 Jahre, sondern 20 000.» Wie soll die Schule darauf reagieren? Auch hier sprach der Lonza-Chef Klartext. Erkennbare Trends in Schule und Bildung strich er heraus. Den Hang zur Überfülle der Lehrinhalte zeigte Soiron am Lehrplan 21 auf: 470 Seiten, 363 Kompetenzen mit 2304 Kompetenzstufen. «Spielräume für lebendigen Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden und für das, was sich daraus entwickelt, für Unerwartetes, Spezielles bleibt da nicht», hielt der Lonza-Vorsitzende fest.

Den Rankings konnte Soiron wenig abgewinnen, auch in der Schule nicht. «Der Schulalltag ist von Tests, Zwischenprüfungen, Examina durchsetzt und der Raum für Freies, Aktuelles, Spielerisches, Gestalterisches wird nochmals enger.» Was aber bedeutet diese Entwicklung für Schule und Bildung, fragte Rolf Soiron, und gab sogleich eine Antwort. «Der Wandel wird viele verunsichern. Das Bedürfnis nach Orientierung, nach Weltanschauung, vielleicht gar Spiritualität wächst.» Nötig seien deshalb «Wertgerüste, die Halt geben». Zwar würden die Jugendlichen auch in Zukunft diese hinterfragen, «aber wer einmal den Sinn für Sinn mitbekam», wird ihn nie mehr ganz verlieren. «Genau das ist der tiefere Wert von Schulinstitutionen mit weltanschaulicher Basis, ob die nun Weltsicht, Philosophie oder Glaube heisst.» Diese Überzeugungen dürften indes nicht zur Abkehr von der Welt führen, zu edler Selbstgenügsamkeit, arroganter Besserwisserei. Nein, sie «muss Empathie für die Weltwirklichkeit auslösen». Es gelte, die Sinn-Gedanken an den vermeintlich erkannten Irrwegen zu verifizieren und gegebenenfalls Gegenpositionen zu wagen.

Leben bewusst rhythmisieren 

Punkto Beschleunigung hält Rolf Soiron einen erstaunlichen Ratschlag bereit: «Ich glaube, dass die in der Rudolf-Steiner-Schule typische Rhythmisierung des Jahresablaufs, das bewusste Begehen der Jahresfeste und das damit verbundene Innehalten in der Beschleunigung von immer grösserem Wert ist». Soiron endete mit einem Aphorismus: «Das Leben gehört dem Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.» Ausgesprochen hat dies kein Zeitgenosse, sondern Johann Wolfgang von Goethe.

Franz Osswald, 9. Mai, 2016

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