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«Ich bin das reformierte Standbein im Haus»

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13.05.2016
Das Lassalle-Haus bei Menzingen im Kanton Zug ist für 23 Millionen Franken renoviert worden. Ein Augenschein und ein Gespräch mit Pfarrerin Noa Zenger, die im Bildungshaus neu die Kontemplation leitet.

Christliche Spiritualität plus Zen-Meditation: Seit Jahrzehnten steht das Lassalle-Haus für diese spezielle Kombination. Nun ist die in die Zuger Hügellandschaft eingebettete Anlage in den letzten 15 Monaten für 23 Millionen Franken von Grund auf renoviert worden.

Küche, Lingerie, alle Fenster und auch die Original-Designstühle aus den 60-Jahren hat man erneuert. Die Heizung ist von Öl auf Pellet umgestellt, der Energieverbrauch um 40 Prozent zurückgegangen, und von den 70 Zimmern haben jetzt 50 eine Nasszelle. Das Lassalle-Haus lädt nun an Pfingstsamstag zum Tag der Offenen Tür ein.

Prägende Figur des Hauses ist der bekannte Zen-Meister und Jesuit Niklaus Brantschen. «Ich bin der Patriarch hier, der Grossvater, der sich freut, dass seine Hütte nicht vergammelt», meint er zu den Journalisten, die das Haus im Voraus besichtigen können.

Seit 1928
«Mit den 23 Millionen hätte man auch neu bauen können», sagt Direktor Tobias Karcher bei einem Rundgang. «Das Haus des Architekten André Studer steht aber mit seinem harmonikalen Baustil unter Denkmalschutz, und etwas Neues wäre nicht so schön gewesen wie der skulpturale Betonbau der späten 60er-Jahre.»

Seit 1928 sind die Jesuiten auf dem Gelände beim Zuger Weiler Edlibach. Nach dem zweiten vatikanischen Konzil habe man sich für andere Glaubensrichtungen geöffnet, und mit Blick auf die andere Talseite, wo das reformierte Zürich beginnt, sagt Karcher: «Wir wollen ein profiliertes, spirituelles Angebot, das den Reichtum der christlichen Traditionen widerspiegelt».

Das reformierte Gesicht
Ein Gesicht dieser Öffnung ist Noa Zenger (40). Sie empfängt zum Gespräch zwischen Zügelkisten im kleinen Büro mit Blick auf den Teich zwischen den beiden Flügeln des Lassalle-Hauses. Sie leitet neu die Kontemplation im Haus und ist verantwortlich für die «Lassalle-Zeit», ein drei- bis sechsmonatiges Auszeitprojekt für spirituell interessierte Menschen.

Noa Zenger wird bald auch hier wohnen und das Pfarramt in Thalwil nach acht Jahren aufgeben. «Ich bin das reformierte Standbein im Haus», sagt sie. Als Studentin, bei ihrem ersten Kontemplationskurs mit dem damaligen Bildungsleiter und heutigen Jesuiten-Provinzial Christian Rutishauser habe sie Feuer gefangen. «Während des Studiums habe ich zwar über Gott denken gelernt, aber ich konnte ihn nicht erfahren. Wer die Mystik sucht, ist im Protestantismus eher schlecht bedient.»

Keine Partypeople
An den Jesuiten im Lassalle-Haus schätzt sie die geistige Weite und scharfes Reflektieren. Wie denkt sie als Reformierte aber über den Zölibat der Jesuiten? Zenger respektiert diese Lebensform, die durchaus ihre Berechtigung habe, auch wenn es nicht ihr Weg sei. «Sexualität und eine Beziehung schliessen ein geistliches Leben nicht aus», sagt sie.

Ihr Mann Reto Bühler ist selbstständiger Erlebnispädagoge, und für beide ist sowohl Geistliches wie Weltliches wichtig. «Wir bringen unser Leben mit, geniessen das Schöne und haben gerne Gäste.» Fröhliche Partys, während unten im Lassalle-Haus die Leute schweigen – geht das? Sie lacht. «Partypeople sind wir nicht, aber durchaus lebensfroh und bewegt. Darin hat die Stille für uns beide einen grossen Wert.» Das Paar sei häufig in der Natur unterwegs und kombiniere in gemeinsamen Kursen Meditation, Natur und Bewegung.

Vom Bauernhof im Berner Oberland
Es gibt verschiedene Übungswege der Stille im Haus, einer davon ist die Zen-Meditation – und es macht fast den Anschein, als würde um Zen-Meister Niklaus Brantschen ein Kult gemacht. Brantschen steht in einer Art «apostolischen Sukzession» bei der Weitergabe der Zen-Lehrerlaubnis. Geht das mit reformierter Tradition zusammen? Zenger zuckt mit den Schultern. «Ob um Niklaus Brantschen ein Kult gemacht wird, spielt für uns hier nun wirklich keine Rolle.»

Die Stelle im Lassalle-Haus sei ihr eine Herzensangelegenheit. Das Umfeld habe aber auf den Wechsel verschieden reagiert: Die einen empfanden es als sehr stimmig, andere waren irritiert, dass sie, die nüchtern protestantisch auf einem Bauernhof im Berner Oberland aufgewachsen ist, nun bei den Katholiken in der Zentralschweiz arbeitet.

Lob des Protestantischen
Sie habe sich aber bewusst für das «Weniger» entschieden. Dazu gehört, dass sie hier weniger verdient als im Pfarramt und dass sie aus einem grossen Pfarrhaus in eine relativ kleine Wohnung in einem Annexbau des Lassalle-Hauses ziehen wird. «Das macht mich freier. Und das ist nicht nur eine Phrase. Ich habe mich gefragt: Was ist wirklich wichtig? Wo ist die Substanz?»

Auch im geistlichen Begleiten sei hier sehr viel mehr möglich als in einer Kirchgemeinde. Konvertieren werde sie aber nicht: «Die reformierte Tradition ist und bleibt meine Wurzel. Inzwischen aber ist vieles dazugekommen, was mich beheimatet – ich kann gar nicht mehr in Abgrenzungen denken.»

Je vertrauter sie dabei mit dem Geist des Hauses wird, umso mehr schätzt sie das Protestantische, das wenig Hierarchische, das Unmittelbare des einzelnen Menschen zu Gott. Und dass sie als Frau auch Pfarrerin sein kann.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch»

Matthias Böhni / ref.ch / 13. Mai 2016

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