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Wer der Erste sein will

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01.01.2016
Was der Mensch braucht: Martin Werlen, Abt im Kloster Einsiedeln

Jesus stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern
die Füsse zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war. Als er zu Simon Petrus kam, sagte dieser zu ihm: Du, Herr, willst mir die Füsse waschen? Jesus antwortete ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen. Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füsse waschen! Jesus erwiderte ihm:
Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir. Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr, dann nicht nur meine Füsse, sondern auch die Hände und das Haupt. Jesus sagte zu ihm: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füsse zu waschen. Als er ihnen die Füsse gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füsse gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füsse waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Johannes 13,410.1215



Während meiner Zeit als Zeremoniar des Klosters Einsiedeln war ich mitverantwortlich, dass wir am Gründonnerstag nach der Lesung des Evangeliums und der Predigt des Abtes den Ritus der Fusswaschung wiedereinführten. Jedes Jahr am Gründonnerstag wäscht der Abt während des Gottesdienstes um 19 Uhr in der Klosterkirche zwölf Menschen die Füsse.
Zu diesem Ritus lud ich bereits als Zeremoniar und lade ich auch als Abt jeweils eine Gruppe von zwölf Personen ein am Anfang Menschen aus verschiedenen Bereichen des Klosters, später Personengruppen, die durch ein bestimmtes Thema mitein­ander verbunden waren. Ich stelle mich Jahr für Jahr der Herausforderung, diesen Evangeliumstext für die jeweils vertretene Personengruppe fruchtbar zu machen: Politiker, Gastwirte, Asylsuchende, Mitglieder von Zünften, behinderte Menschen, Kirchenkritiker und andere mehr. Während der Fusswaschung singt die Schola einen der ältesten Gesänge der römischen Liturgie: «Ubi caritas et amor, Deus ibi est.» «Wo Güte ist und Liebe, da ist Gott.» Die Feier der Liturgie zieht sich zwar durch diese Zeremonie in die Länge. Aber ich erlebe selten sonst eine solche Aufmerksamkeit und Betroffenheit der Gläubigen in der Liturgie wie am Gründonnerstag.
In der Erzählung der Fusswaschung und im Ritus der Fusswaschung ist die gesamte christliche Botschaft verdichtet. Nicht als theoretische Darlegung, sondern als anschauliche Praxis: Gott ist Liebe. Dieser Gott wird Mensch, um uns seine Liebe zu zeigen. Gott, der Höchste und Mächtigste, wird Mensch und dient dem Menschen. Gott wird zum Diener. Jesus Christus zeigt durch sein Handeln, was es heisst, Erster zu sein: Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein. Was mich immer wieder neu fasziniert: Jesus sorgt sich sogar angesichts des eigenen Todes kurz nach dem Mahl mit der Fusswaschung wird er verhaftet und am folgenden Tag hingerichtet um die anderen. Selbst seinem grössten Gegner, der ihn kurz darauf verrät, erweist er diesen Liebesdienst.





Serie: Texte aus dem Buch «Was der Mensch braucht, Schweizer Persönlichkeiten über einen religiösen Text in ihrem Leben», Achim Kuhn (Hg), TVZ

Von Abt Martin Werlen

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