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«Dahinter stehen politische Motive»

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01.01.2016
Für Jochen Kirsch, Nigeria-Beauftragter von mission 21, richten sich die Anschläge auf die Kirche in erster Linie gegen den Staat.

Herr Kirsch, was steckt hinter den Bombenanschlägen auf die Kirchen in Nigeria?
Dahinter steht die islamistische Sekte Boko Haram, zu deutsch «westliche Erziehung ist Sünde». Diese Gruppe sieht in der westlichen Kultur das Grundübel der gravierenden Armut und Korruption im Land. Sie glauben, dies durch die Errichtung eines Gottesstaates und die Einführung einer strengen Form der Sharia bekämpfen zu können.

Wie gross ist der Rückhalt der Extremisten in der Bevölkerung?
Die Gruppe ist in sich offenbar sehr heterogen: Es gibt Anhänger, die primär aus religiösen Gründen agieren, während andere politische Ziele verfolgen oder einfach kriminell sind. Hinter den Anschlägen stehen politische Motive. Die Gruppe gibt es seit den 1980er-Jahren. Im August 2009 zerstörte das Militär ihr Hauptquartier und erschoss ihren Führer. Trotzdem ist Boko Haram nach wie vor aktiv und wird mit Waffen versorgt. All dies wäre nicht denkbar, wenn nicht mächtige Politiker ihre Hand über Boko Haram hielten.

Stehen nicht auf dem Banner die Vertreibung der Christen und die Ausbreitung der Sharia?
Die Sharia existiert schon in vielen Staaten Nigerias. Doch nach Auffassung der Islamisten wird sie viel zu lasch gehandhabt. Der Hauptgegner von Boko Haram ist daher der Staat. Neben der teilweise gezielten Verfolgung der Christen werden Polizeistationen, Schulen, Behörden und Sicherheitskräfte angegriffen. Aber auch moderate Muslime und deren Einrichtungen werden zum Ziel. Mitglieder von Boko Haram fahren auf Motorrädern durch die Stras-sen und erschiessen wahllos Menschen in Bars, die ein Bier trinken, an Wahlkampfaktionen teilnehmen oder gerade aus dem Gottesdienst kommen.

Wollen sie die Gesellschaft destabilisieren?
Genau. Hinter den vermeintlich religiösen Auseinandersetzungen stehen vielfach der Kampf um Arbeit, Wasser, Gerechtigkeit oder Möglichkeiten der Mitbestimmung. Den Drahtziehern der Anschläge geht es um den Ausbau ihrer Macht.

Mission 21 unterhält über Partnerkirchen in Nigeria ein Friedensprogramm, um den Dialog zwischen Muslimen und Christen zu fördern. Wie steht es um die Zukunft dieses Projektes?
Die Mitarbeitenden setzten sich zur Zeit der Gefahr aus. Auf der anderen Seite ist ihre Arbeit jetzt besonders dringlich. Wenn Gewalt ausgebrochen ist, ist sie schwer zu stoppen. Deshalb ist die präventive Friedensarbeit so wichtig. Zum Beispiel in der Bildungsarbeit, der ländlichen Entwicklung oder der Lobbyarbeit bei Politikern.

Interview: Tilmann Zuber

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