Auftrag der Religionen
Die Bibel bestätigt Edgar Kellenbergers These. Mit den Heilungen von Kranken, Blinden und Lahmen zeigte Jesus, dass Behinderte ins Reich Gottes gehören. Als ihn die Jünger angesichts eines blind Geborenen fragten, «Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?», antworte er: «Er hat weder gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden.» (Joh 9,2f) Mit diesem Ansatz widerspricht Jesus der vorherrschenden Meinung in der Antike, dass Krankheit und Gebrechen auf ein sündiges Leben zurückgehen.
Das Jesuszitat führt jedoch weiter: Im Umgang mit Schwachen, Kranken und Behinderten zeigt sich, wie sehr sich das Reich Gottes verwirklicht. Dieser Tradition folgen die Kirchen bis heute. «Menschen mit Behinderung sind oft gute Könner im Nicht-Können», hält der Leitfaden der Kirchenkonferenz fest. Als Christ bedeutet dies, vom Bild des perfekten Menschen abzurücken.
Edgar Kellenberger befürchtet, dass durch die moderne Medizin genau das Gegenteil geschieht. Durch die pränatale Diagnose und die Möglichkeit abzutreiben verschwinden behinderte Menschen aus dem Alltag. Und der gesellschaftliche Druck, nur «normale» Kinder auf die Welt zu bringen, könnte zunehmen.
Auf der anderen Seite attestiert der Pfarrer, wie viel heute getan werde, um behinderte Menschen zu fördern. Das sei gut so, denn im Umgang mit Behinderten und Randständigen zeige sich die Stärke einer Gesellschaft. Dabei lässt sich auch entdecken, welch wertvolle Beiträge behinderte Menschen der ganzen Gesellschaft weitergeben können. Kellenbergers Buch gibt Beispiele, wie ein Kirchgemeinde durch geistig Behinderte bereichert wird.
Edgar Kellenberger, Der Schutz der Einfältigen, Theologischer Verlag Zürich, 32 Franken
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