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Das Eis der Seele schmelzen

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01.01.2016
Worte beeinflussen die Wirk­lich­keit. Wie sie wirkungsvoll eingesetzt werden können, zeigte eine Tagung in Luzern.

Worte haben es in sich. Sie können trösten, schmeicheln, verletzen, treffen, helfen, Mut machen oder theologische Konflikte auslösen. Ein Beispiel dafür ist das kleine Wort «est» in der lateinischen Abendmahls-Formel «Hoc est corpus meum» zu deutsch: «Dies ist mein Leib». Aus der Diskussion, ob die Hostie der Leib Christi sei oder nur daran erinnere, entstand der Abendmahlsstreit, der seit dem 16. Jahrhundert die Konfessionen beschäftigt.
Mit diesem Bespiel für die Wirkung der Sprache auf die Gesellschaft eröffnete Katja Wißmiller von der Frauenkirche Zentralschweiz die ökumenische Tagung «Hokuspokus die Macht der Sprache». Rund fünfzig Frauen aus kirchlichen Gremien aus dem ganzen Kanton waren Ende Januar der Einladung der reformierten und römisch-katholischen Landeskirche sowie die Frauenkirche Zent-ralschweiz gefolgt. Mehrere Workshops von der Sprache in Märchen, über die Sprachohnmacht von Immigranten bis zum Auftritt vor Publikum beleuchteten das Thema aus verschiedenen Perspektiven.

Sprache muss berühren
«Religiöse Sprache muss den Menschen im Innersten berühren, das Eis der Seele schmelzen», sagt Luzia Sutter Rehmann. Für die Professorin für Neues Testament an der Universität Basel ist die Sprache dann auch der Hauptzugang zur Theologie, wie sie in ihrem Workshop zum Thema «Religiöse Sprache» deutlich machte. Die Theologin unterschied dabei zwischen der verstaubten Formelsprache der Kirche und religiöser Sprache in der Literatur. Mit der Germanistin und Theologin Dorothee Sölle stimme sie überein, wenn diese sage: «Theologisch relevant ist, was uns öffnet, was ein neues Organ in uns aufschliesst (Goethe), was uns aus den Versicherungen des Gewussten herausnimmt, was uns mit den eigenen Klischees konfrontiert, was uns entlarvt, was unser Verhältnis zur Welt und damit uns selber ändert.»
Ganz allgemein um Kommunikation ging es im Eingangsreferat der Theologin und Kommunikationsfachfrau Cornelia Schinzilarz. Sie stellte ihr Kommunikationsmodell «Gerechtes Sprechen» vor. Dieses basiert auf drei Ebenen. Die erste Ebene ist die Gerechtigkeit sich selbst gegenüber. Ohne Wertschätzung der eigenen Potentiale und Person, seien keine Gespräche mit anderen auf Augenhöhe möglich. «Sie haben alle einen Heiligenschein machen Sie sich also grösser», so ihr humorvoller Rat. Die zweite Ebene betrifft die Gerechtigkeit und den respektvollen Umgang anderen gegenüber. Die dritte Ebene schliesslich umfasst die Gerechtigkeit gegenüber der Situation. Das bedeute, so Schinzilarz, die Sprache der jeweiligen Gesprächssituation anzupassen.

Vom «müssen» zum «wollen»
Grundlegend für alle Ebenen sei der Verzicht auf Zwangssprache: «Tilgen Sie die Wörter müssen und sollen aus ihrem Sprachschatz», so die Expertin. «Sage ich meinem Gegenüber Sätze, die mit du musst oder du sollst beginnen, schaltet das Gehirn des Angesprochenen entweder auf ­totale Anpassung oder auf Widerstand», erklärte Schinzilarz. Beide Reaktionen blockierten das Gehirn, anstatt es für eine Tätigkeit zu begeistern. Als Alternative schlug Schinzilarz Formulierungen wie «ich möchte», «ich lade Sie ein», «ich stelle mir vor, dass» oder «ich wünsche mir» vor. Wem das anfangs ein wenig merkwürdig vorkam, den konnte die Kommunikationsfachfrau beruhigen: «Neurobiologisch braucht es etwa drei bis vier Wochen, bis sich neue Muster im Gehirn festigen.»
Fester Bestandteil der deutschen Sprache ist seit rund 400 Jahren auch das Wort «Hokuspokus». Es soll aus der eingangs zitierten Abendsmahlformel entstanden sein: Die Menschen in der Kirche, die kein Latein verstanden, hörten statt «hoc est corpus meum» nur so etwas wie «Hokuspokus». Da nach katholischem Verständnis etwas verwandelt wird nämlich die Hostie in den Leib Jesu Christi war der Zauberspruch geschaffen.

Annette Meyer zu Bargholz

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