Von keuschen Gattinnen und verführten Jungfrauen
Verzückt steht sie da und blickt zu ihrem Verführer auf. Bereits ist sie dabei, ihr Kleid zu lösen und sich vor ihm zu entblössen. Es ist eine törichte Jungfrau, die das Portal der Münsterfassade ziert. Für einen Sakralbau ist diese Darstellung erstaunlich unverblümt. Ihr Vorbild hat sie in einer ganz ähnlichen Figur am Strassburger Münster. Von vorne sieht der Verführer ganz sympathisch aus. Aber an seinem Rücken kriechen Schlangen und Kröten hoch und offenbaren sein wahres (teuflisches) Gesicht. Neben Strassburg und Basel findet sich das Motiv vom Verführer und der törichten Jungfrau nur noch in Nürnberg. Es war wohl doch zu explizit und konnte sich darum nicht durchsetzen.
Die törichte Jungfrau passt wunderbar ins Bildprogramm der Frauengestalten am und im Basler Münster. Denn immer wieder treffen wir hier auf die Polarität der Frau zwischen Heiliger und Sünderin. Der Urtypus dieses Gegensatzpaares sind Eva und Maria. Das Münster selber ist der Maria geweiht. Sie stand einst an prominenter Stelle vor dem Portal auf einem Sockel und begrüsste die Gläubigen. Im Bildersturm von 1529 wurde sie heruntergerissen und zerstört. Heute zeugen nur noch die sich um das Portal rankenden Rosen als Mariensymbol von ihrer Präsenz. Eva hingegen ziert ein Kapitell im Chor-umgang des Münsters. Es ist eine Darstellung des Sündenfalls. Von ihr aus linkerhand spricht die Schlange zu ihr. Sie selber blickt nach rechts zu Adam und reicht ihm den Apfel. Alle anderen Frauengestalten lassen sich diesen beiden «Urmüttern» zuordnen. Zu Maria gehören die keusche Kaiserin Kunigunde, Marias Mutter Anna, die klugen Jungfrauen und die heilige Martha. Evas Töchter sind die törichte(n) Jungfrauen und Maria Magdalena.
Hintergrundwissen liefern
Der Verein Frauenstadtrundgang geht im neuen Rundgang Evas heilige und sündige Töchter, Frauengestalten im und am Münster, dieser Polarität nach und zeigt auf, wie sie in der mittelalterlichen Theologie zur Lehre wurde. Seit seinen Anfängen gehören kirchliche Gruppierungen und theologisch interessierte Frauen und Männer zum treuen Kundenkreis des Vereins. In den vergangenen Jahren fehlte jedoch ein theologischer Rundgang in seinem Programm. Der Frauenstadtrundgang ist nun dem vielfältigen Wunsch nach einem solchen nachgekommen. Der Rundgang bietet daneben auch umfassendes kunsthistorisches Hintergrundwissen zu den Baustilen Romanik und Gotik. Und selbstverständlich erhält das Publikum die Möglichkeit, sich das Bildprogramm von Fassade, Krypta, Chorumgang, Chorfenster, Kreuzgang und Galluspforte näher anzusehen. Historisches Bildmaterial rundet das Programm ab.
Der Rundgang Evas heilige und sündige Töchter. Frauengestalten im und am Münster feiert am Sonntag, 2. September, 14 Uhr, seine Premiere. Der Treffpunkt ist vor dem Hauptportal. Weitere öffentliche Rundgänge finden statt am: Sonntag, 21. Oktober, 14 Uhr und Sonntag, 9. Dezember, 14 Uhr. Der Rundgang kann auch privat gebucht werden.
Nadja Müller
Von keuschen Gattinnen und verführten Jungfrauen