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Marc Chagall: Der Gekreuzigte am Lebensbaum

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01.01.2016
Vor 125 Jahren wurde der Maler Marc Chagall geboren. In seinen Gemälden suchte er den Bezug zu Juden- und Christentum. Seine Bilder sind intensive Predigten zum Alten und Neuen Testament und laden zum Leben ein. So auch im Christusfenster im Zürcher Fraumünster.

In der Mitte der Gruppe der fünf Kirchenfenster steht das grüne Fenster. Hier ist es die Christus-Gestalt, die meinen Blick auf sich zieht. Etwas Friedvolles, Versöhnliches geht von ihr aus. Woran liegt das? Die Grundfarbe Grün trägt sicher viel zu diesem Eindruck bei. Im Grünen kann man zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen. Darum ist Grün auch die Farbe der Hoffnung und des Heiligen Geistes. Es ist aber auch die Gestalt selbst. Dieser langgestreckte, schmale Christus weckt zwar Erinnerungen an mittelalterliche Darstellungen des Gekreuzigten, übertönt die bekannte Todesszene aber im gleichen Augenblick.

Leid und Trauer bleiben zurück
Sein Unterleib und die Beine sind ins verklärende Silbergelb getaucht. Leid und Trauer, die dahinter im purpurroten Band symbolisch anwesend sind, bleiben zurück. Die ganze Gestalt erscheint schwerelos und hi-neingenommen ins Auferstehungsleben, das bildlich in der smaragdgrünen Aureole kreist. Ähnlich wie der Christus des Isenheimer Altars, der in einer sonnengleichen Aureole aufsteigt und die Todesschwerkraft hinter sich lässt, ist auch dieser Christus von einer neuen Lebenskraft getragen. Sie verwandelt den Gekreuzigten in den Auferstehenden. Die grüne Umgebung und die grüne Gestalt tragen das Ihre dazu bei, dass man auch an die Szene am Ostermorgen denkt, wo der Auferstandene Maria Magdalena im Garten begegnet. Doch auch beim Auferstandenen bleibt es nicht.

Der Beistand kommt
In diesem Fenster ist das ganze Leben von Jesus zu sehen. Eingezeichnet in einem Baum, in einen Lebensbaum. Unten, im Stamm dieses Baums, steht Maria, seine Mutter, das Kind in den Armen haltend. Dann wächst der Baum durchs läuternde Blau hindurch, wird zum Kreuzstamm und wandelt sich zum Baum des neuen Lebens. «Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen: wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden», hat der scheidende Jesus zu seinen Jüngern gesagt (Johannes 16,7). Auch diese Dimension des Beistandes kann man hier erblicken. Nicht nur, weil das viele Grün an die Kraft des Heiligen Geistes erinnert, die alles neu macht. Auch darum, weil die Christusgestalt nicht wegschwebt. Sie tritt viel eher hinzu. Sie kommt herab zu den Menschen, die ihr da links und rechts zurufen, mit freudigen Gesichtern und Gebärden. Und mit Armen und Händen greift sie weit über das Fenster hinaus, durchbricht auch die Aureole, um nicht nur im ewigen Bereich zu Hause zu sein, sondern weiterhin hilfreich in der Menschenwelt zu wirken.


Die Pfarrerin Madeleine Peter wohnt in
Thayingen. Sie ist Moderatorin beim
Schaffhauser Fernsehen «Gedanke am Wuchenänd»


Nachdem einWettbewerb mit Schweizer Künstlern gescheitert war, fragte der Fraumünsterpfarrer Peter Vogelsanger 1967 Marc Chagall für die Gestaltung der Glasfenster an. Über­raschend sagte er zu.
Aus Anlass des 125. Geburtstages von Marc Chagall schreiben Autoren über die Kirchenfenster im Zürcher Fraumünster.

Madeleine Peter

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