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«Wenn es Gott gäbe, gäbe es keine Sehnsucht»

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01.01.2016
«Gott ist nicht tot. Er fehlt.» bekennt Martin Walser: In einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion im KKL Luzern ging es um Glaube, Religion und den reformierten Theologen Karl Barth.

Über Religion wird zwar heute viel, über Gott jedoch relativ wenig geredet, als ob beides gar nicht zusammen gehöre. Wenn ein renommierter Schriftsteller öffentlich bekennt «Gott ist nicht tot. Er fehlt» ist ihm die Aufmerksamkeit gewiss. So ging es auch Martin Walser an dem von der Neuen Zürcher Zeitung zum Thema Glaube organisierten Podium im Rahmen des Lucerne Festivals. Unter der Moderation von NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer diskutierten neben Walser auch Kardinal Kurt Koch und die österreichische evangelische Theologin Susanne Heine.
In seinem Eingangsreferat bezog sich Walser vor allem auf den reformierten Schweizer Theologen Karl Barth (18861968). In ihm fand der Schriftsteller einen Geistesverwandten: «Da ich sozusagen schon immer bekennen musste, dass mir einfällt, was mir fehlt, dass der Mangel meine Muse sei, dass ich nicht sagen könne, ob es Gott gebe oder nicht gebe, dass ich nur sagen könne: er fehlt, mir fehlt er; deshalb war Karl Barth für mich eine Erweckung.» Barths Verweigerung, Gott für weltliches Geschehen zu vereinnahmen nur Gott selbst könne von Gott reden finde sich in seinem Erleben wieder.
So erkennt Walser die Gewissheit des Glaubens allein in der Ungewissheit. Wer den Glauben direkt formuliert, falle damit schon von ihm ab. Gott zeige sich durch seine Abwesenheit. «Wenn ich versuchen würde, auszudrücken, was fehlt, würde ich sicher lügen. Was mir fehlt, ist nicht zu sagen, ohne das Fehlende zu verfehlen. Ich muss den Mangel ungesagt ertragen. Anerkennen, dass es ein unsäglicher Mangel ist», so Walser. Was bleibe, sei die Sehnsucht: «Wenn es Gott gäbe, gäbe es keine Sehnsucht.» Karl Barth habe den unüberwindbaren Bruch zwischen Gott und Welt auf den Punkt gebracht. Der Glaube sei demnach «für alle der gleiche Sprung ins Leere». Er sei «allen möglich, weil er allen gleich unmöglich ist».
Glaube ist nicht erlernbar
Ein Weg, die Sehnsucht nach Gott zu stillen ist die Lektüre der Bibel. «Bib­lische Texte sind virtuelle Welten», erklärte die Theologin Susanne Heine. «Sie wirken, in dem sie uns hinziehen zu Dingen, die wir nicht sehen». Überhaupt funktioniere der Glaube nur passiv: «Er muss uns als zumindest einmal in Form eines Aha-Erlebnisses begegnen», so Heine. Aktiv lehren können man ihn nicht. Auch junge Menschen könne man nur über positive Erfahrungen zum Glauben bringen. «Sie müssen eine glaubwürdige Gemeinde erleben mit Pfarrern, die auch leben, was sie predigen.» «Glauben heisst auch», so Heine weiter, «das einem selber ein Licht über die eigene tragische Existenz aufgeht.» Wenn der Mensch seine Fehler erkenne, sei dies ein erster Schritt in die richtige Richtung. Und räumt zugleich ein: «Die Selbsterkenntnis ist oft niederschmetternd.» Kardinal Koch betonte, dass die katholische Kirche, anders als die evangelische, den Menschen weniger als Sünder denn als Geschenk Gottes betrachte.
Über den Umgang der menschlichen Schuld vor Gott bekannte der Katholik Walser, als Kind habe er auf dem Weg zur verordneten Beichte («Lüge auf höchstem Niveau») oft einen «inneren Boxkampf» ausgeführt. Bei ihm habe dieser Kampf «die Geräumigkeit der Seele» erzeugt, von der er bis heute profitiere. Seiner Mutter, die ihr Leben lang stark gläubig und eine treue Kirchgängerin war, habe hingegen der Glaube die Angst vor dem Tod nicht nehmen können.
Glaube und die Institution Kirche liessen sich für Kardinal Kurt Koch erwartungsgemäss nicht auseinander dividieren. Christ könne man nur in der Gemeinschaft anderer Christen der Kirche sein, so Koch.
Martin Walser empfahl allen Zuhörenden abschliessend die Bibel wie Literatur («die grösste, die es gibt») zu lesen. «Die Umwandlung in dogmatische Formeln widerspricht der Offenheit der Bibel», so Walser nochmals in einem Seitenhieb auf die Amtskirche.



Buchtipp: Über Rechtfertigung, eine Versuchung. Zeugen und Zeugnisse. Von Martin Walser. Rowohlt 2012, 96 Seiten, 21.90 Franken

Annette Meyer zu Bargholz

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