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Ein Leben wie im Roman

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01.01.2016
Für viele gehörten sein Lächeln und seine aufmunternden Worte zum Alltag im Kantonsspital Olten. Bald werden sie fehlen, denn nach über 28 Jahren geht Spitalseelsorger Nikola Kostadinov in Pension.

In einer chassidischen Erzählung heisst es: «Wer seinen Freund aus dem Schlamm holen will, muss selber hi­neinsteigen.» Dieses Wort könnte über den letzten 28 Jahren stehen, die Nikola Kostadinov als Spitalseelsorger im Kantonsspital Olten arbeitete, denn Kostadinov wollte den Menschen auch im Leid beistehen. Nach 28 Jahren und 9 Monaten gehe er in Pension, erklärt der Pfarrer. Der Abschied vom Spital fällt ihm sichtlich schwer. Am letzten Sonntag feierte Nikola Kostadinov seinen Abschiedsgottesdienst im Mehrzweckraum des Spitals.
Über Jahrzehnte bestand sein Arbeitsplatz aus den endlos langen Fluren, durch die das Personal eilt, der Ankunftshalle, die man mit pochendem Herzen betritt und den Betten der Patienten, an die er sich setzte. Sonntags predigte der Spitalseelsorger im Mehrzweckraum. Jährlich treten tausende Patienten und Patientinnen ins Spital ein. Die meisten verlassen es nach kurzer Zeit wieder. Für andere ist es die letzte Station ihres Lebens. Nikola Kostadinov kennt viele ihrer Geschichten. Jetzt begegnet er manchmal den Kindern im Spital, deren Eltern er vor Jahrzehnten beim Sterben begleitet und dann beerdigt hatte.

Kinderlähmung und Verfolgung
Nikola Kostandinovs Leben klingt wie ein Roman: Aufgewachsen in Mazedonien, erkrankt er mit elf Jahren schwer an Kinderlähmung und ringt mit dem Tod. Aus dieser Zeit weiss Kostadinov, wie es ist, wenn man nur daliegt, sich nicht bewegen kann und in die Leere starrt. Zäh verrinnt die Zeit. Der Schmerz zerhämmert das Hirn. Die Angst macht sich breit.
Als er später wieder aufstehen kann, hat ihn die Kinderlähmung gezeichnet. Er kann kaum gehen, und benötigt für die kürzeste Distanz unendlich viel Zeit. Jeder Schritt wird zur Qual, begleitet von abschätzigen Blicken und Flüchen. Man lässt ihn spüren, dass er ein «Krüppel» ist. Nach Ausbruch der Krankheit muss er sich insgesamt 14 Mal operieren lassen. Mit Erfolg. Er kann wieder gehen. Mit 21 Jahren verlässt er seine Heimat. In Gümligen BE im Diakonissenspital «Siloah» findet er zuerst eine Arbeitsstelle als Hausangestellter.
Als Reformierter gehörte Nikola Kostadinov im kommunistischen Staat einer Minderheit an, die unter der Diktatur Titos Repressionen und Verfolgungen ausgesetzt war. Wegen seines Glaubens wurde er in seiner Ex-Heimat zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.
Nikola Kostadinov hat später Theologie in der Schweiz studiert. «Schon als Achtjähriger habe er davon geträumt, als Pfarrer das Wort Gottes auf der Kanzel zu verkünden», erzählt er. Seine erste Pfarrstelle wurde Oberglatt ZH, von wo er die Gemeindemitglieder in den Regionalspitälern Bülach und Dielsdorf besucht und betreut hat.
Viel Vertrauen geschenkt
Während und nach seinem Studium kümmerte sich Nikola Kostadinov nebenbei um die Gastarbeiter in der Schweiz, arbeitete aber auch als Dolmetscher bei der Kantons und Stadtpolizei, der Bezirksanwaltschaft und dem Gericht. Zugleich wirkte er auch als Gefängnisseelsorger in kantonalen Gefängnissen des Kantons Zürich, Aargau und Bern. 1984 trat er seine Stelle im Kantonsspital Olten an. Er fühlte sich schon immer zu kranken Menschen hingezogen und wollte mit ihnen Leid und Freude teilen. Im Laufe der Jahre erhielt er Einblick in viele Familien und Betriebe. «Es war unglaublich, wie viel Vertrauen mir die Menschen schenkten», sagt er und führt dies darauf zurück, dass er wegen seiner eigenen Krankheit glaubwürdiger war.
120 bis 140 Mal wurde er pro Jahr ans Sterbebett gerufen. «Krankheit und Sterben ist Teil meines Lebens», erzählt Nikola Kostadinov. Hatte er nie, ob all dem Leid Glaubenszweifel? «Nein», meint der Pfarrer. Der Glaube beschenkte ihn, wenn er das Gefühl hatte, den Boden unter den Füssen zu verlieren.
Auch er habe mit Gott gehadert und sich zum Beispiel gefragt: «War es wirklich Gottes Wille, dass dieses Kind plötzlich an Leukämie erkrankte? Wie kann Gott dies zulassen?» Kostadinov findet es wichtig, dass man in solch schwierigen Situa­tionen klagt und Gott auch anklagt, so wie dies auch Jesus am Kreuz getan hatte, als er rief: «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?»
Die jahrelange, intensive Arbeit sei nur mit der Unterstützung seiner Frau möglich gewesen, blickt Nikola Kostadinov zurück. Sie war ihm Stütze, Sekretärin, Patientenbegleiterin und Trösterin für seine Kinder, wenn er wieder einmal einen Familientermin absagen musste. Im Hinblick auf seine Kinder habe er vieles verpasst, wenn er manchmal während längerer Zeit über kein freies Wochenende verfügte, gibt der Pfarrer zu. Das tue ihm im Rückblick auch Leid.
Inzwischen sind die Kinder erwachsen. Nikola Kostadinov freut sich auf das Reisen nach der Pensio­nierung. Mit seiner Frau begibt er sich im nächsten Jahr auf eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Und dann, wenn es ihm die Zeit erlaubt, würde er gerne wieder Vorlesungen in der Universität besuchen. Er freue sich, wenn er öfters als Dolmetscher bei der Kantonspolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht im Kanton Solothurn und Aargau mitwirken, und da und dort Gottesdienste in verschiedenen Kirchgemeinden halten könne, verrät Nikola Kostadinov. Alt fühle er sich noch lange nicht.

Tilmann Zuber

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