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Hunger nach der spirituellen Dimension

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01.01.2016
«Geht die Spiritualität in der wissenschaftlich geprägten Gesellschaft verloren?», fragt der Psychiater Daniel Hell. Er setzt sich dafür ein, religiöse Erfahrungen ernst zu nehmen.

«Viele Menschen haben das Bedürfnis, sich mit religiösen Fragen auseinanderzusetzen», sagt Daniel Hell, Psychiater und Depressionsspezialist. Die Auseinandersetzung mit dem Spirituellen sei ein wichtiger Aspekt des Seelenlebens. Religiöse Erfahrungen, etwa das Gefühl, als Mensch zu einem sinnvollen Ganzen zu gehören, könnten stärkend wirken. Zugleich konstatiert Hell aber: «Spiritualität wird heute mehrheitlich undifferenziert abgelehnt oder irrational vereinnahmt wie etwa in esoterischen Modeströmungen.» Hell fragt deshalb: «Wird das Religiöse ein Opfer der Leistungs- und Erfolgsgesellschaft?»
Daniel Hell, der am 10. Januar in Schaffhausen im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung auftritt («Seele im Gleichgewicht Wege aus der Depression»), setzt sich seit langem für eine Psychiatrie und Psychotherapie ein, die das seelische Erleben der Menschen ebenso wichtig nimmt wie Gehirnvorgänge. Er hat in seinem erfolgreichen Buch «Seelenhunger» geschildert, wie in unserer wissenschaftlich dominierten Gesellschaft dem Menschen die Seele abhanden kommt. Technik und Wissenschaft prägen unser Selbst- und Weltverständnis. «Seelisches aber können wir mit technischen Methoden nicht festhalten», so Hell. Deshalb würden die Menschen ihren Empfindungen und Gefühlen weniger trauen. Dies könne mit ein Grund sein, dass Depressionen und Burnout heute häufiger auftreten.

Kirche hat «Erfahrungsschatz»
Der Psychiater spielt den Ball den Kirchen zu: «Die Kirchen haben dank ihrem jahrhundertealten Erfahrungsschatz die Möglichkeit, der zunehmenden Verdinglichung unseres Lebens etwas entgegenzusetzen», sagt er. Pfarrerin Beatrice Heieck, die die Diskussionsveranstaltung «Seele im Gleichgewicht» der reformierten Kirchgemeinden der Stadt Schaffhausen mitorganisiert hat, sagt: «Die Kirchen versuchen, den Menschen Ort zu sein, wo sie sich gerade auch in belasteten Lebenszeiten in einem Grösseren aufgehoben und getragen wissen dürfen.» Pfarrerin Esther Schweizer, die als Psychiatrieseelsorgerin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich arbeitet und ebenfalls an der kirchlichen Veranstaltung auftritt, sagt: «Viele Angebote der Kirche können den Zugang zur spirituellen Dimension des Lebens öffnen.» Gerade rund um Weihnachten und Neujahr würden überall Gottesdienste gefeiert und Konzerte mit geistlicher Musik aufgeführt. Oasen der Stille, wie sie immer zahlreicher offen stünden, könnten Raum für die Seele schaffen. Die Kirche unterrichte auch Kinder und Jugendliche: Im kirchlichen Unterricht lernten sie die biblischen Geschichten kennen. «Wir stehen ein für die Werte, die in unserer Gesellschaft oft nicht mehr hoch gehalten werden», sagt Schweizer. «Für Vertrauen etwa oder für das Füreinander-Einstehen und Füreinander-Dasein.»

Barbara Helg

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