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Ein offenes Ohr für Verfolgte

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01.01.2016
Jeannette Lüscher hat während acht Jahren den Ökumenischen Seelsorgedienst für Asylsuchende (OeSA) der Region Basel geleitet. Besonders betroffen machen sie Frauen, die Opfer von Gewalt sind und mit ihren Kindern in der Schweiz Zuflucht suchen.

«Ich habe keine Sekunde bereut, dass ich beim OeSA arbeitete.» Wir treffen Jeannette Lüscher beim Verpacken ihrer persönlichen Sachen im Containerbüro des Ökumenischen Seelsorgedienstes für Asylsuchende der Region Basel. Der OeSA befindet sich im Niemandsland nahe der Grenze zu Deutschland bei den Langen Erlen.

Nur mit 40 Freiwilligen
Jeannette Lüscher hat den diakonischen Dienst während acht Jahren geleitet. Jetzt wechselt die 48-jährige Heilpädagogin mit Weiterbildungen in Familientherapie und Nonprofit-Management zur Kinds- und Erwachsenenschutzbehörde im Leimental. «Ich hatte mit vielen spannenden Leuten zu tun», zieht Lüscher Bilanz. Sie denkt dabei auch an ihre drei Mitarbeitenden in der Seelsorge Susy Mugnes, Roland Luzi und Antonio Grosso sowie an die rund 40 Freiwilligen, die das Seelsorgeteam unterstützen: in der Beratung und beim Übersetzen, im Kinderhort, im Café und im Deutschkurs. Sie meint jedoch in erster Linie ihre Klientel, die Asylsuchenden selbst: Menschen, die oftmals Schreckliches erlebten und nichts mehr zu verlieren haben.

Angst, dass es der Mann erfährt
«Jeannette Lüscher hatte ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen und konnte sich immer auch gut abgrenzen», sagt Michel Meier von der Rechts-Beratungsstelle für Asylsuchende der Region Basel (BAS) über seine Kollegin. Sie selber meint, besonders betroffen gemacht hätten sie Menschen, die nach einer langen Wartezeit den Nichteintretensentscheid erhielten und Frauen, die Opfer von Gewalt sind und die mit ihren Kindern in der Schweiz Zuflucht suchen. Zum Beispiel jene Frau aus dem arabischen Raum, die mit Mann und Kindern kam: Sie wurde in ihrer Heimat vergewaltigt, konnte es aber ihrem Mann nicht sagen. «Sie war sehr froh, mit jemandem darüber zu reden und zu erzählen, wie es ihr geht, ohne dass es nachher ausserhalb des seelsorgerlichen Gesprächs jemand erfährt», berichtet Lüscher. Beim Asylgesuch habe die Frau diesen Fluchtgrund nicht angeführt aus Angst, ihr Mann könnte es erfahren.

Zu viele Wirtschaftsflüchtlinge
Lüscher unterscheidet zwischen zwei unterschiedlichen «Kategorien» Asylsuchende: Menschen auf der Flucht, denen aus politischen, religiösen, ethnischen oder frauenspezifischen Gründen Gefahr an Leib und Leben drohe; und solche, die aus wirtschaftlichen Gründen ein Asylgesuch stellen. «Für mich war immer klar», so Lüscher, «Asyl ist für Menschen, die verfolgt werden.» Während im Empfangs- und Verfahrenszentrum Basel zu Beginn ihrer Tätigkeit beim OeSA im Jahr 2004 180 bis 250 Asylsuchende untergebracht waren, sind es seit 2011 über 500 Personen, laut Lüscher vor allem wegen der zunehmenden Anzahl Wirtschaftsflüchtlinge. Sie habe heute eher Verständnis dafür, dass viele Einheimische empfindlich auf diese neuen Asylsuchenden reagieren würden, erzählt sie: «Nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge der Welt können in unsere kleine Schweiz kommen.»
Der OeSA sei mit Astrid Geistert in guten Händen, sagt Jeannette Lüscher über ihre Nachfolgerin, die den Seelsorgedienst Anfang Dezember übernommen hat. Geistert, Sozialpädagogin mit Weiterbildungen in systemischer Beratung sowie in Führung sozialer Organisationen, hat während 22 Jahren als Beraterin bei der BAS gearbeitet und leitete die letzten sieben Jahre zusätzlich ein Familiengartenprojekt für Flüchtlinge bei der HEKS-Regionalstelle beider Basel.



Was ist OeSA?
Der Ökumenische Seelsorgedienst für Asyl­suchende beider Basel (OeSA) wird von den Kantonalkirchen der Nordwestschweiz getragen. Die Landeskirchen haben 1994 für die Seel­sorge in den Bundes­empfangs­zentren mit dem Bundesamt für Migration einen Rahmenvertrag unterschrieben. Das Bud­get für das auslaufende Jahr 2012 beträgt knapp 280'000 Franken. Je 20'000 Franken stammen von den reformierten Kantonalkirchen AG, BL und BS, 5000 Franken von SO und gut 50'000 Fran­ken vom Kirchenbund SEK.

Anna Wegelin

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