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Vom «Fräulein» im Pfarrhaus zur Präsidentin

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01.01.2016
Christine Jutzeler hat als Kirchenpflegerin während 32 Jahren das kirchliche Leben in Diegten und Eptingen mitgestaltet. Mit 62 möchte sie nun mehr Zeit mit ihrer Enkelin und ihren Hobbys verbringen.

Von Christine Jutzelers Haus sieht man auf Diegten hinunter. Verschlafen liegt das Dorf an diesem grauen Januartag im Tal, wie seit je umgeben von Wald und Natur. Vieles habe sich aber verändert, seit sie 1971 von Liestal hierherkam und alle einander kannten, sagt Christine Jutzeler. Auf der anderen Seite des Dorfes führt seit Anfang der 70er-Jahre die Autobahn durch das Tal. Die Mobilität brachte rege Bautätigkeit. Die Zahl der Einwohner hat sich bis heute von 700 auf über 1500 mehr als verdoppelt.
Die Kirchgemeinde zählt zurzeit etwa 1200 Mitglieder. Als Kirchenpflegerin hat Christine Jutzeler die Entwicklung von Diegten während rund drei Jahrzehnten hautnah miterlebt und das kirchliche Leben mitgestaltet, die letzten acht Jahre als Präsidentin. Ende Dezember ist sie zurückgetreten.

Aufbruch und Rückschlag
Es begann damit, dass der Pfarrer von Diegten die frisch gebackene Primarlehrerin ins Dorf holte, um die Jugendarbeit zu unterstützen. In den ersten Jahren bewohnte sie ein Zimmer im Pfarrhaus. Die Schule war ihr erster Arbeitsplatz. In Diegten gründete Christine Jutzeler eine Familie. Sie engagierte sich in der Schulpflege und seit 1980 als Synodale auch in der Kirchenpflege, allerdings noch ohne Stimmrecht. Acht Jahre später wurde sie in die Kirchenpflege gewählt. Doch da war sie bereits Witwe.
Der frühe Unfalltod ihres Mannes liess sie jäh allein zurück, mit einem kleinen Kind und mit dem zweiten schwanger. In dieser schwierigen Zeit half ihr vor allem die enge Beziehung zu ihrer Schwiegermutter. Für ihren Glauben sei der Schicksalsschlag eine Bewährungsprobe gewesen: «Oft zweifelte ich damals mehr, als dass der Glaube mir Halt bieten konnte», erinnert sich die 62-Jährige. Doch in der Gemeinschaft der Kirche fühlte sie sich aufgehoben.
Sie habe viel Unterstützung erfahren, erzählt Christine Jutzeler. Als alleinerziehende Mutter und Lehrerin verbrachte sie die meiste Zeit mit Kindern. Die Sitzungen in der Kirchenpflege seien eine willkommene Abwechslung gewesen: «Die regelmässigen sozialen Kontakte mit Erwachsenen bedeuteten mir sehr viel. Ich freute mich auf diese Sitzungen wie andere auf einen Kinobesuch», lacht sie.

Alle kannten «das Fräulein»
Christine Jutzeler hat erlebt, wie sich die Stellung der Kirche in der Gesellschaft gewandelt hat. Aber nicht nur der Pfarrer verlor an Einfluss, auch Ärzten und Lehrern begegnet man heute nicht mehr mit dem Respekt von früher: «Als ich hierher kam, war ich das Fräulein, und alle wussten, das ist die Lehrerin.» Dass heute ein natürlicherer Umgang herrscht, bedauert sie nicht. Die Kirche leiste nach wie vor wertvolle Arbeit für die Gesellschaft, gerade auch in einer Zeit, in der die Idee der Solidarität verloren gehe, betont sie. Das Einstehen für ein­ander und Gerechtigkeit sind der Baselbieterin sehr wichtig, nicht nur im Kleinen, sondern weltweit. So hat sie sich von Anfang an im fairen Handel engagiert. Weniger begeistert ist sie von der wachsenden Bürokratie, welche eine Kirchenpflege bisweilen an den Rand der Überforderung bringen könne. Die Organisation des kirchlichen Lebens brauche immer mehr Energie. Für Spirituelles oder Theologisches bleibe wenig Zeit.
Ebenfalls verändert hat sich die Zusammensetzung der kirchlichen Gremien. Wo früher die Männer bestimmten, sind heute oft die Frauen in der Überzahl. Das sieht Christine Jutzeler nicht nur positiv. Einst sei die ehrenamtliche Arbeit mit hohem Ansehen verbunden gewesen und habe manche Karriere gefördert. Seit man sich mit einem Kirchenamt nicht mehr im gleichen Masse profilieren könne, überliessen es die Männer häufiger den Frauen, glaubt sie. Trotz gelegentlicher Ermüdungserscheinungen ist Christine Jutzeler die Arbeit in der Kirche nie verleidet. Doch vor zwei Jahren entschloss sie sich zum Rücktritt. Sie betreute ihre betagten Eltern. Zudem war sie Grossmutter geworden und wollte sich ihrer Enkelin widmen: «Ich habe gemerkt, dass ich nicht alles unter einen Hut bekomme und etwas aufgeben muss», erklärt sie.

Zeit für Hobbys und Fair-Trade
Christine Jutzeler freut sich auf die Zeit, die sie mit Weben, Lesen und Stricken verbringen möchte, und mit Musizieren. Seit der Schulzeit spielt sie Querflöte. 31 Jahre lang erteilte sie Blockflötenunterricht an der Musikschule. Jetzt studiert sie mit dem Diegter Frauenensemble «Intermezzo» Konzerte ein. Ausserdem ist sie als Teilzeitverkäuferin im «mercifair», früher «Kalebasse», anzutreffen, dem Fair-Trade-Laden an der Missionsstrasse in Basel, den sie mit aufgebaut hat.

Karin Müller

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