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«Wir konnten jüngere Leute für die Mitarbeit gewinnen»

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01.01.2016
Als Geografielehrer entwickelte Jürg Müller früh einen globalen Blick auf die Welt. 25 Jahre lang engagierte er sich für die Schaffhauser Bettagsaktion. Jetzt ist er zurückgetreten.

Sie sind pensionierter Geografielehrer. Wie sind Sie seinerzeit zur Entwicklungszusammenarbeit gekommen?
Ich war in jungen Jahren sechs Jahre lang Lehrer und Schulleiter an der Schweizerschule in Rio de Janeiro. Meine Frau und ich sahen, dass es gewaltige Unterschiede gibt zwischen arm und reich. Natürlich überlegten wir uns, wie man helfen könnte.

Wie haben Sie geholfen?
In dieser Zeit lernten wir einen engagierten Padre und seine Mitstreiter kennen und beschlossen: die unterstützen wir. Es waren Einheimische, nicht Europäer, die «besser wissen», wie es geht. Deshalb ist mir auch wichtig, das Wort «Entwicklungszusammenarbeit» zu verwenden, man redet miteinander und fragt, was am sinnvollsten wäre.

Wie sah das Projekt des Padres aus?
Eine Favela, ein Elendsviertel am Stadtrand einer brasilianischen Grossstadt sollte saniert werden. Die Bettagsaktion unterstützte das Projekt: Mit 100'000 Franken bauten wir 100 Häuser. Diese wurden natürlich von den Menschen dort selbst gebaut, aber wir bezahlten das Material.

Wie sieht es dort heute aus?
Ich war schon lange nicht mehr dort. Der Padre ist leider gestorben. Der Stadtteil wurde sicher kein Paradies. Aber immerhin kamen die Leute zu einem kleinen Haus mit wasserdichtem Dach über dem Kopf.

Ist das nicht Pflästerlipolitik? Ein Tropfen auf den heissen Stein?
Sicher. Aber damit helfen wir einzelnen. So kann man wenigstens den Nächsten helfen. Damals waren das Menschen, die im gleichen Land wohnten wie ich, und ich sah jeden Tag, wie elend es ihnen ging. Wenn sie nicht aus dem täglichen Überlebenskampf rauskommen, können sie auch keine Veränderungen bewirken. Und sobald die Menschen etwas Freiraum haben, können sie etwa ihre Kinder statt zum Betteln zur Schule schicken.

Manche behaupten, dass Entwicklungshilfe ungerechte Zustände eher zementiere, statt verändere. Was ist ihr grösstes Problem?
Nicht, dass sie den Status quo zementiert. Sondern die Gefahr, dass Spenden in korrupte Hände geraten. Deshalb ist in diesen Ländern «Good Governance», gute Regierungsführung, für eine gedeihliche Entwicklung die wichtigste Voraussetzung.

Sie sind seit 25 Jahren bei der Bettagsaktion engagiert. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Heute wissen die Leute viel mehr über Entwicklungszusammenarbeit als vor 25 Jahren, zumindest diejenigen, die sich dafür interessieren. Die meisten wissen auch, dass wir in Europa und besonders in der Schweiz einen hohen Lebensstandard haben und dass es anderen in der Welt weniger gut geht.

Das Bewusstsein ist da trotzdem nehmen die Beiträge an die Bettagsaktion im Vergleich zu früher tendenziell ab.
Das stimmt. Früher setzten wir die Zielsumme mit 100'000 Franken an, heute rechnen wir eher mit 70'000 Franken. Es ist schwieriger geworden, die Spendengelder zu generieren.

Was ist der Grund?
Heute gibt es viel mehr Hilfsprojekte und Hilfswerke. Wir sind eine unter zahlreichen Organisationen. Aber im Kanton Schaffhausen sind wir nach bald 50 Jahren eine Organisation mit Tradition, die gut verwurzelt ist. Wir können auf ein treues Spenderpublikum zählen.

Was ist das Besondere an der Schaffhauser Bettagsaktion?
Wir betreiben nicht selber Entwicklungszusammenarbeit, sondern sammeln Geld für Projekte, die einen Bezug zu Schaffhausen haben. Wir prüfen die Eingaben sehr genau, damit wir wissen, wohin das Geld geht. Und wir arbeiten alle ehrenamtlich.

Was sind die Stärken?
Wir kommen jedes Jahr, da­rauf kann man zählen. Wir sind eine ökumenische Aktion, unsere Engagierten kommen aus allen Kreisen der Bevölkerung und sind unterschiedlich eng mit der Kirche verbunden. Das schafft Breite.

Worauf sind Sie stolz?
Die Bettagsaktion war überaltert. Jetzt konnten wir initiative jüngere Leute gewinnen und decken so wieder das ganze Altersspektrum zwischen 20 und 75 ab. Junge Berufsleute haben einen ganz anderen Zugang zur Entwicklungszusammenarbeit.

Welchen?
Manche einen ganz praktischen. Eines unserer jungen Mitglieder ist Schreiner und hat schon in verschiedenen Projekten selbst Hand angelegt.

Was legen Sie Ihren Nachfolgern ans Herz?
Sehr wichtig ist, dass die Projekte weiterhin einen direkten Bezug zum Kanton Schaffhausen haben. Wie etwa vor eineinhalb Jahren unsere Schulprojekte in Togo und in Pakistan. In beiden Fällen leben Bezugspersonen, die dort geboren wurden, unter uns. Sie garantieren, dass mit unseren Spenden sorgfältig umgegangen wird. Ein anderes Beispiel ist das Projekt des Beringer Hausarztes Christian Seelhofer, dem viele vertrauen. So funktioniert es am besten.



Bettagsaktion
Seit 1968 plant das Bettagsaktions-Team jährlich eine Aktion und gestaltet einen informativen Sammelaufruf. Unterstützt werden vorwiegend Projekte im Ausland, doch wird alle paar Jahre ein kantonales Werk bekannt gemacht und unterstützt, wie das Schaffhauser Frauenhaus (2007), das Wohnhaus für Körper­behinderte «LindliHuus» (1997) oder letztes Jahr die Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende.

Interview: Barbara Helg

Links:
Weitere Informationen unter www.bettagsaktion.ch

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