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«Nicht überall wo Zen draufsteht ist Zen drin»

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01.01.2016
Zen und Christentum, geht das zusammen? Sehr wohl, findet Niklaus Brantschen, Jesuiten-Pater und Zen-Meister. In seinem neuen Buch «Mehr als alles» vermittelt er «Denkanstösse aus Zen und Christentum». Ein Gespräch.

Pater Niklaus Brantschen, Sie positionierten die Bildungsstätte Bad Schönbrunn 1993 neu als Lassalle-Haus, das den interreligiösen Dialog pflegt und unter anderem Kurse in Zen-Meditation anbietet. Beissen sich Zen und Christentum denn nicht?
Sie sind jedenfalls nicht widersprüchlich. Wenn etwa gesagt wird, Zen sei Selbsterlösung, im Christentum dagegen sei alles Gnade, erinnere ich gerne daran, dass auch Gnade empfangen werden will. Dietrich Bonhoeffer bringt es auf den Punkt. Er meint, es gebe keine «billige Gnade». Denn Gnade und unser Mitwirken gehen zusammen. Auch in der buddhistischen Tradition wird die entscheidende Erfahrung von Einheit mit allem, was ist, nicht produziert sondern als Geschenk erfahren.
Immer mehr Menschen scheinen Erfahrungen mit Zen zu machen.
Wenn ich sehe, wie heute in allen Bildungseinrichtungen und Exerzitienhäusern Matten, Schemel und Kissen rumliegen, kann dieser Eindruck entstehen. Doch nicht überall, wo Zen draufsteht, ist Zen drinnen! Trotzdem meine ich, dass Stille sitzen, um eine Kurzformel für Zen zu gebrauchen, eine Notwendigkeit und grosse Hilfe ist. Nicht wenige Menschen machen tatsächlich nicht nur Erfahrungen mit Zen, sondern auch eine Zen-Erfahrung.

Was lehrt uns Zen?
«Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte: Was rätst du? Ich würde antworten: Schaffe Stille!», rät der Philosoph Søren Kierkegaard. Und Stille zu schaffen können wir im Zen lernen. Sie ist eine Art Direttissima dazu.

Die heutige Zeit ist ja alles andere als still. Wir werden ständig von den Medien berieselt. Brauchen wir umso nötiger Stille- Zeiten?
Den Lärm möglichst zu verhindern, ist der erste Schritt. Die Abwesenheit von Lärm ist aber nicht genug. Es ist wie beim Gärtnern: Ein Zaun um den Garten schafft noch kein gutes Gemüse. Man muss den Garten hegen und pflegen. Und da ist die Frage, wie? Wie kultiviere ich die Stille, die mehr ist als das Fehlen von Worten und mehr als die Abwesenheit von Lärm? Die effektiv mich durchdringt und mein Handeln prägt? Zen ist, wie gesagt, ein probater Weg dazu.

Muss ich glauben, um Zen zu praktizieren?
Wir haben es heute nicht primär mit gläubigen oder ungläubigen Menschen zu tun, sondern vor allem mit Nervenbündeln. Die müssen wir ernst nehmen.

Können solche Nervenbündel überhaupt ruhig auf einem Kissen sitzen?
Jedenfalls nicht auf Anhieb. Zunächst mal kommt die ganze Nervosität hoch! Wenn sie von 200 plötzlich auf 0 runter fahren, ist der Teufel los. Die Gedanken flitzen einem durch den Kopf wie Affen, die sich jagen auf dem Baum. Das Ruhig werden kann ich nicht im Instantverfahren haben. Es braucht Zeit, Übung und Wiederholung.

Aber wo diese Zeit finden im vollgestopften Tagesablauf?
Gerade wenn ich Zeit haben will, ist es unerlässlich, Stille zu praktizieren. In der Stille dehnt sich die Zeit gleichsam aus. Sie wächst und nimmt nicht ab. Warum? Wenn ich wie ein Hamster im Rad renne oder tausend Dinge abarbeite, komme ich nie zur Ruhe. Ich hab immer zuwenig Zeit. Wenn ich dagegen lerne, dank der Meditation Prioritäten zu setzen, fange ich an, Zeit zu haben auch für die Stille.

In Ihrem neuen Buch «Mehr als alles» wollen Sie anstiften zur Freiheit, wie sie im Vorwort schreiben. Sind wir so unfrei?
Es gibt im Zen ein Wort, in dem der Schüler zu seinem Meister sagt: Ich bin unfrei, mach mich frei! Und der Meister sagt: Wer oder was bindet Dich? Dann geht der Schüler, meditiert und meditiert, kommt zurück und sagt: Ich finde niemanden, der mich bindet. Mit anderen Worten, wir binden uns selbst durch bestimmte Vorstellungen, Konventionen und das so genannte Über-Ich. Wir binden uns nicht zuletzt durch unseren Terminkalender. Die Folge: Nicht ich habe Zeit, die Zeit hat mich und hält mich wie in einem Netz gefangen. Davon frei zu werden ist nicht zuletzt das Ziel der Zen-Meditation.

Und hat Zen Sie frei gemacht?
Als ich vor Jahren in Japan mit der Frage: «Wer bindet dich» konfrontiert wurde, rief mir der Zen-Meister zu: «Pater Brantschen, nobody is binding you, nobody!» Keiner bindet dich! Das war so ein Aha-Erlebnis. Ich habe erfahren, dass wirklich niemand und nichts mich bindet. Christlich gesehen hängt das zusammen mit dem Verständnis von Gott: Grosser Gott grosse Freiheit, kleiner Gott kleine Freiheit, kein Gott keine Freiheit. Denn dann bin ich geneigt, mir selber einen Gott, besser: einen Götzen zu machen, wie Geld, Macht und Erfolg.

Sind wir in unserer materialistischen Welt besonders gut darin, Götzen anzubeten?
So ist es. Und Götzen bieten eine Scheinfreiheit an. Wenn du viel, viel Geld hast, kannst du machen, was du willst. Dann hast du alles zur Verfügung. Irrtum! Ich kenne viele reiche Menschen, die sehr unfrei sind. Sie rennen von einem ihrer Häuser zum andern und versuchen diese in Schuss zu halten. Andere versuchen ihren Besitz um jeden Preis zu mehren und kommen so unter Druck. Es ist sehr schwierig, reich zu sein und frei zugleich. Mein Zen-Meister Yamada Roshi hat das immer wieder betont.

Hat sich durch Ihre Zen-Praxis Ihr Gottesbild verändert?
Ja, und zwar massiv. Es gab eine Phase, wo ich nicht mehr beten konnte. Gott war wie weg. Kein Bild, keine Vorstellung, nichts. Ein väterlicher Freund, Pater Lassalle, hat dann zu mir gesagt: «Bete ruhig weiter. Das ergibt sich schon wieder.» Und tatsächlich. Ich fand zu einer neuen Ursprünglichkeit zurück. Und konnte plötzlich wieder wie ein Kind das «Vater unser» beten.

Wir sollen uns ja kein Bild von Gott machen.
Weder von Gott, noch von den Menschen, noch von der Welt. Wir brauchen nicht Bilder von Gott, sondern sollen das Göttliche erfahren! Vorstellungen, Konzepte und Bilder sind wie der Mond, der sich bei einer Sonnenfinsternis zwischen uns und die Sonne schiebt. Die Bilder, die wir zwischen Gott und uns schieben, führen zu einer Gottesfinsternis. Darum raten uns die Mystiker, jedes Bild und jede Vorstellung von Gott zu lassen.

Was bringt also die Zen-Meditation?
Es gibt Menschen, die ein Licht und eine Weite erfahren, die alles Dunkel erhellen und alle Grenzen sprengen. Und sie erfahren es im ganz Konkreten.

Zen führt also ganz ins Hier und Jetzt?
Unbedingt. Angelus Silesius sagt es so: «Zeit ist wie Ewigkeit, und Ewigkeit wie Zeit, so du nur selber nicht machst einen Unterscheid.» Also, die Ewigkeit findet sich in der Zeit, im Hier und Jetzt. Was für die Zeit gilt, gilt für alle Phänomene. Es gibt das Messbare, das Fassbare, das Detail. Und es gibt das Unermessliche, Unfassbare, Ganze. Das meine ich mit «Mehr als alles».



Niklaus Brantschen, «Mehr als alles. Denkanstösse
aus Zen und Christentum», Kösel-Verlag, München 2012

Daniela Schwegler

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