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«Vorwärts, vorwärts, Herr Pfarrer»

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01.01.2016
Die reformierte Kirche in Sursee wird 100 Jahre alt. Im streng katholischen Sursee war der Bau eine kleine Sensation.

Als vor gut 100 Jahren Geld für den Bau der ersten reformierten Kirche in Sursee gesammelt wurde, konnte es einigen gar nicht schnell genug gehen. «Vorwärts, vorwärts, Herr Pfarrer, damit unsere Kinder doch auch einmal wissen, wie eine protestantische Kirche aussieht», wird ein weibliches Gemeindemitglied in den Chroniken zitiert. Dabei war die Gemeinde bei der Einweihung des Gotteshauses 1913 gerade einmal 15 Jahre alt.
Im Zug der Industrialisierung waren ab 1875 die ersten Reformierten an den Sempacher See gezogen. Der erste evangelische Gottesdienst hatte am 25. Dezember 1897 auf Initiative von sechs Familien im Saal der Surseer Konservenfabrik stattgefunden, gehalten vom Willisauer Pfarrer. Von 1898 bis 1906 kamen die reformierten Christen in einer Uhrensteinschleiferei zusammen. Mittlerweile konnte die junge Gemeinde dank des protestantisch-kirchlichen Hilfsvereins Basel aber schon einen eigenen Pfarrer anstellen. Danach, bis zum Bau der Kirche, feierten die Surseer Protestanten ihre Gottesdienste im Absonderungshaus (einer Art Quarantänestation) der örtlichen Armenanstalt. Ein Raum, den die Gemeinde im Fall einer grassierenden Seuche hätte sofort räumen müssen.

Nicht überall willkommen
Prekäre Verhältnisse nach heutigen Massstäben ging es den reformierten Christen wie den islamischen Einwanderern unserer Tage, die ihre Moscheen auch oft in Hinterhöfen und ehemaligen Industriegebäuden eröffneten? «Dieser Vergleich ist doch eine Nummer zu gross», findet alt Stadtarchivar Stefan Röllin, der sich mit der Geschichte der reformierten Gemeinde befasst hat. «Bei den Reformierten, die sich ab 1875 im Amt Sursee ansiedelten, handelte es sich um qualifizierte Fachkräfte: Käser, Gewerbetreibende, Unternehmer und Bauern. Zudem sei die reformierte Welt, der Aargau oder das Bernbiet nicht allzu weit weggewesen. Aber dennoch», so Röllin, «trafen diese Menschen auf ­eine geschlossene katholische Welt, die sie nicht überall mit offenen Armen empfing.»

Weite Wege zur nächsten Kirche
Wenn die ersten Surseer Protestanten einen Gottesdienst besuchen wollten, mussten sie mit dem Zug nach Luzern oder Zofingen fahren. Oder sie unternahmen einen zweistündigen Fussmarsch nach Reitnau, Menziken oder Willisau, wo 1894 die erste protestantische Kirche in der Luzerner Landschaft eingeweiht wurde. Je länger die Protestanten in Sursee ansässig waren, umso stärker wurde der Wunsch nach eigenen Räumen. Haussammlungen, die Unterstützung des Grafen von Pourtalès, des damaligen Besitzers des Schlosses Mauensee, und schliesslich die Reformationskollekte machten 1912 den Bau einer eigenen Kirche auf dem Dägerstein möglich. Als Architekt verpflichtete man den renommierten Baumeister Heinrich Meili-Wapf, der auch das Hotel «Palace» in Luzern geplant hatte.
Ein Jahr nach Spatenstich konnte bereits das Pfarrhaus bezogen werden. Am 10. August 1913 fand die Einweihung der Kirche statt noch mit feuchten Wänden, auf denen sich keine Malerei anbringen liess, heisst es in zeitgenössischen Berichten. Auch Turmuhr und Orgel fehlten zunächst aus Mangel an finanziellen Mitteln. Dennoch war die junge Gemeinde, was die Innenreinrichtung der Kirche betraf, geschmacksbewusst. So lehnte man eine von der Neumünstergemeinde Zürich offerierte Kanzel freundlich ab, weil sie sich «in Grösse und Stil nicht in das Innere der neuen Kirche gefügt hätte».
«Der repräsentative Bau wurde im katholischen Umfeld durchweg positiv aufgenommen», weiss Stefan Röllin. So seien zur Einweihungsfeier wie selbstverständlich auch Vertreter der katholischen Geistlichkeit geladen gewesen. «Man war sichtlich um Harmonie bemüht», so der Historiker. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Die drei Glocken der neuen Kirche wurden klanglich so abgestimmt, dass sie exakt zum Geläut der katholischen Kirchenglocken passten.



«Eine Evangelische Kirche inmitten einer katholischen Umgebung. Die ersten Jahrzehnte der evangelisch-reformierten Kirch­gemeinde ­Sursee», Vortrag mit alt Stadt­archivar Dr. Stefan Röllin, Mi., 6. März, 20 Uhr, ref. Kirche Sursee
Fernsehgottesdienst anlässlich des Jubiläums, Sonntag, 17. März, 10 Uhr (Einlass bis 9.30 Uhr), Predigt: Pfarrer Ulrich Walther. Liveübertragung auf SRF 1

Annette Meyer zu Bargholz


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