Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Exit oder Palliative Care Gibt es ein besseres Sterben?

min
01.01.2016
Was gibt es aus biblischer Sicht zum selbst bestimmten Tod zu sagen? Welche Gedanken machten sich die Philosophen früherer Epochen darüber? Ein Podium stellte die Diskussion um Sterbebegleitung und Sterbehilfe in einen grösseren Zusammenhang.

«Wir wünschen uns alle einen guten Tod, aber dürfen wir ihn selber herbeiführen?» Die Frage des Wiener Philosophie- und Ethikprofessors Sören Hoffmann stand am Anfang einer Veranstaltung über ethische Fragen am Lebensende, zu der die drei Baselbieter Landeskirchen ins Reinacher Gemeindehaus eingeladen hatten. Das Thema Suizid stelle Fragen an das Menschenbild. In der Philosophiegeschichte sei die Frage, ob es etwas Gutes sein könne, wenn jemand sich selber tötet, bejaht und verneint worden.
Die Philosophie habe seit Sokrates dazu aufgefordert, sich mit dem Tod zu befassen. Im Gegensatz zu Sokrates, der dagegen war, dass jemand selber Hand an sich legt, sprachen die Vertreter der Stoa allerdings sogar von der möglichen Pflicht zu sterben. Diese Argumentation sei lange im Hintergrund geblieben. Für den Kirchenvater Augustinus und mit ihm das Christentum während anderthalb Jahrtausenden habe das Tötungsverbot uneingeschränkt auch im Fall der Selbsttötung gegolten: «Wer sich tötet, tötet einen Menschen.»

Leben als eigener Besitz?
Mit der Aufklärung habe sich das geändert. Mit dem Aufkommen des Kapitalismus habe man begonnen, das Leben als Besitz zu betrachten, über den man selber verfügen könne. Heute werde wieder die Frage gestellt, ob es nicht eine Verpflichtung gebe, angesichts der durch Alter und Krankheit verursachten Kosten aus dem Leben zu schei­den. Hoffmann machte klar, dass das nicht seine Position ist, dass er mit Kant die absolut für jeden Menschen geltende Würde postuliert. Es sei doch so, dass überall, wo Menschen aus ihrer Vereinsamung herausgeführt würden, der Sterbewunsch sinke. Diese Erfahrung mache sie auch im Hildegard-Hospiz, ergänzte die Palliative-Care-Fachfrau Renate Karlin. Wo Sterbende spürten, dass sie nicht allein sind und ihre Bedürfnisse ernstgenommen werden, erführen sie ein würdiges, selbstbestimmtes Leben bis zum Ende.
Ueli Oswald, dessen Buch «Ausgang» darüber berichtet, wie er den Weg seines Vaters zum von Exit begleiteten Tod erlebt hat, votiert eindringlich dafür, mit den Angehörigen über das Sterben und den Tod zu sprechen. Das sei nicht einfach. Jeder Tod sei für die Ange­höri­gen eine Belastung. Am schmerzhaftesten seien die unbeantworteten Fragen. Oswald betonte, dass sich Palliative-Care und ein begleiteter Freitod nicht ausschliessen, sondern zwei Optionen seien. Es gehe um die Selbstbestimmung. Er höre oft von Menschen, dass sie besser leben könnten, seit sie Mitglied bei Exit seien und damit die Möglichkeit hätten, einen begleiteten Freitod zu wählen. Tatsächlich würden dann ja nur wenige von der Möglichkeit Gebrauch machen.

Menschen in der Bibel
Heute wünschten sich viele den Sekundentod, der Mensch im Mittelalter aber habe nichts mehr gefürchtet als einen plötzlichen Tod ohne Zeit für eine Beichte, meinte Hans-Peter Mathys, Professor für Altes Testament an der Universität Basel. Die Frage, was von einem selbst gewählten Tod zu halten sei, stelle sich nur in den reichen Ländern. Es sei der Fortschritt, der diese Entscheidung erst möglich mache. Die Menschen in bib­lischer Zeit hätten viel Leid ertragen müssen. Wer schwer erkrankte, starb allerdings meist schnell. Davon zeuge der Psalmvers: «Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin.» Von einem Todeswunsch berichtet die Bibel selten. Bei Jona etwa, der zornig ist, als Gott Ninive nicht vernichtet. Doch auch er legt nicht selber Hand an sich. Die bekannteste Selbsttötung in der Bibel ist jene Sauls. Als er nach einer Niederlage gegen die Philister sah, dass er in seinem Amt gescheitert war, nahm er sich das Leben. Die Bibel berichtet sonst nur von Schwerkranken, die Gott um Gesundheit bitten.
In der christlichen Tradition war Leiden lange Jahrhunderte positiv besetzt. Christus nachfolgen hiess, ihm im Leiden nachzufolgen. Mathys erinnerte an die Redensart: «Jeder hat sein Kreuz zu tragen.»

Alois Schuler

Unsere Empfehlungen