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Nur «Augenwischerei»

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01.01.2016
Am 9. Juni stimmt das Volk über die Revision des Asylgesetzes ab. Neu gilt Desertion nicht mehr als Asylgrund und bei den Botschaften können keine Asylgesuche eingereicht werden. Für den Kirchenbund und das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen sind diese Verschärfungen fragwürdig.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Asylsuchende aus Eritrea in die Schweiz eingewandert. In ihrer Heimat herrscht eine brutale Militärdiktatur, die junge Männer und Frauen zum Militärdienst von 18 Monaten einzieht. In Wirklichkeit handle es sich um eine unbefristete, lebenslange Militärpflicht unter menschenverachtenden Bedingungen, hält die «Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht Ostschweiz» fest. Als Ausweg bleibt nur die Desertion ins Ausland, da Kriegsdienstverweigerer in ihrer Heimat Misshandlungen und Folter erwartet. Teils droht ihnen die Todesstrafe. Für viele Eritreer ist die Schweiz die rettende Insel.
Im September des letzten Jahres verschärfte das Parlament das Asylgesetz: Deserteure gelten nicht länger als Flüchtlinge. Zudem können in den Schweizer Vertretungen im Ausland keine Asylgesuche mehr eingereicht werden.

«Unsere Politik lässt Menschen untergehen»
Mit dem Slogan «Unsere Politik lässt Menschen untergehen» bekämpfen die Gegner die Revision des Asylgesetzes. Für das Referendum hatten die Jungen Grünen, linke, kirchliche und asylrechtliche Organisationen mehr als 63'000 Unterschriften gesammelt. Am 9. Juni kommt nun die dringliche Revision des Asylgesetzes vor das Volk. Das Abstimmungskomitee wird von kirchlichen Gruppierungen wie «Frauen für den Frieden», ­Attac Schweiz und der Oeme-Kommission der reformierten Kirchgemeinde Bern unterstützt.
Das Hilfswerk HEKS kritisiert die Aufhebung der Desertion als Asylgrund. Die Verweigerung des Militär- und Zivildienstes stehe in den meisten Ländern der Welt sowieso unter Strafe. Alleine wegen einer drohenden Verurteilung aufgrund einer Wehrdienstverweigerung erhalte deshalb auch niemand Asyl. «Nur wenn eine unverhältnismässig hohe Strafe droht, wie dies heute etwa in Eritrea der Fall ist, bekommt jemand wegen Wehrdienstverweigerung Asyl», erklärt das Heks. «Diese Gesetzesverschärfung bringt also nichts, weil bereits heute in der Praxis kein Asylsuchender allein aufgrund von Desertion Asyl erhält.» Der Flüchtlingsbegriff werde durch die Genfer Konvention definiert. Wer die Kriterien erfüllt, habe Anrecht auf Asyl. Mit der Gesetzesänderung werde so getan, als ob die Schweiz den Flüchtlingsbegriff verändern könnte, hält Heks weiter fest. «Das ist Augenwischerei und ethisch verwerflich, weil damit die Grundrechte verletzt werden.»
Langjährige Gefängnissstrafe für Militärdienstverweigerer
Patricia Müller, die bei der Heks-Beratungsstelle für Asylsuchende Solothurn arbeitet, bezeichnet den Beschluss des Parlaments als einen merkwürdigen Vorstoss. Viele der Asylsuchenden, welche die Heks-Beratungsstelle in Solothurn aufsuchen, stammen aus Eritrea. Deserteure erhielten nicht deshalb Asyl, weil sie den Dienst verweigern, sondern weil die Bestrafung wie etwa in Eritrea unmenschlich sei, meint die Juristin. Die Militärdienstverweigerer erwartet dort eine Gefängnishaft von 20 Jahren unter miserablen Bedingungen, die nur die wenigsten überleben. Die Betroffenen können nicht zurückgeschafft werden, denn dies würde die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. «Man kann niemanden in ein Land zurückschicken, wo ihn Folter und die Ermordung erwarten.»
Dem stimmt auch die Bundesrätin Simonetta Sommaruga zu. Der Justizministerin zufolge erhalten Asylsuchende, die in ihrer Heimat ­wegen Wehrdienstverweigerung an Leib und Leben bedroht sind, nach wie vor Asyl. Das Parlament habe im Gesetz explizit festgehalten, dass die Genfer Flüchtlingskonvention auch bei Deserteuren eingehalten werden muss.
Und was bringt die Aufhebung der Auslandsgesuche bei den Botschaften? 2011 machten über 6000 Personen davon Gebrauch. Lediglich 11 Prozent der Antragsteller durften in die Schweiz einreisen, von denen die Hälfte später Asyl erhielt. Gemäss Bundesamt für Migration erhielten seit 1980 rund 2000 Personen durch ein Gesuch im Ausland Asyl in der Schweiz. Oftmals waren es Familienangehörige von Flüchtlingen, die schon in der Schweiz lebten.



Zum Bild: «Herzlich willkommen, aber nicht hier!»: Die HEKS-Aktion am Zürcher Flughafen soll zum Nachdenken über das Asylrecht anregen. | HEKS

Tilmann Zuber

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