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«Reserviert euch einen gemeinsamen Abend»

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01.01.2016
Cornelia Egli-Angele und Caroline Tresch-Saxer von der «Beratungs- stelle für Partner­schaft und Schwangerschaft Schaffhausen» erleben, wie langjährige Paare um ihre Beziehung ringen.

Heute werden oftmals langjährige Ehen geschieden. Das hätte man kaum erwartet.
Cornelia Egli: Wenn die Kinder selbstständig werden und ausziehen, richtet sich der Focus der Ehepartner wieder auf ihr Paarsein. Ihre Rollen werden nicht mehr so sehr durch die Familie bestimmt. Plötzlich haben sie mehr Zeit, Energie und Möglichkeiten.

Werden dann die Karten neu gemischt?
C. Egli: Viele fragen sich in diesem Moment, wie ihre nächsten Jahre aussehen und ob sie diese mit ihrem Partner verbringen möchten.
Und suchen dann Ihre Beratungsstelle auf?
Caroline Tresch: Manche kommen zu uns, weil sie unsicher sind, ob sie sich noch etwas bedeuten und ob sie den Weg gemeinsam fortsetzen wollen. Andere haben sich aus ihrer Ehe bereits verabschiedet und möchten erfahren, wie sie sich am besten und schnellsten scheiden lassen können.

Gibt es die gute Scheidung?
C. Tresch: Nein, man darf die langjährigen Ehen nicht unterschätzen. Da entstanden tiefe Bindungen und die Aus­ein­andersetzungen sind schwierig. Viele fürchten sich vor dem, was sie ihren Kindern und sich selbst antun. Und meist steht einer der Partner nicht am gleichen Punkt und leidet unter der Trennung.

Heute wird fasst die Hälfte aller Ehen wieder geschieden. Auch ältere Paare sind davon betroffen. Gibt es gesellschaftliche Gründe?
C. Egli: Die Paare sind grossen Anforderungen ausgesetzt: Sie müssen ihre Kinder gut betreuen und gezielt fördern. Es genügt nicht mehr, dass sie etwas zu Essen und zum Anziehen haben. Der Mann muss beruflich vorankommen. Und die Frau behält oft einen Fuss im Berufsleben, was zur Doppelbelastung führt. Früher durfte man mit 40 Jahren langsam alt werden. Das ist heute mitnichten so.

Diese hohen Ansprüche schlagen sich im Alltag nieder?
C. Egli: Viele Paare funktionieren als Team wunderbar. Der Haushalt ist perfekt. Das Geld ist vorhanden. Die Kinder sind umsorgt. Nur als Paar nimmt man sich keine Zeit und driftet in den Jahren auseinander. Zuletzt hat man sich nichts mehr zu sagen.
C. Tresch: Einer der Gründe ist sicher auch eine verklärte romantische Vorstellung: Wie die jungen Leute glauben auch die Älteren an die Idee der grossen Liebe, die ein Leben lang anhält. Flauen die Gefühle ab, hoffen sie, mit einem neuen Partner nochmals die grosse Liebe zu erleben.

Eine Trugvorstellung?
C. Tresch: Die von der Werbung noch unterstützt wird, die rüstige, jung gebliebene und verliebte Pensionierte zeigt. Früher war man mit dem, was man hatte, eher zufrieden und ging Kompromisse ein.
C. Egli: Hinzu kommt, dass sich Frauen heute eine Scheidung eher finanziell leisten können, da die Rente nach einer Trennung gesplittet wird und viele Frauen einen Fuss in der Arbeitswelt haben. Die Generation unserer Mütter konnte dies nur erwägen, wenn sie grosse finanzielle Einbussen in Kauf nahm.

Will man in diesem Alter seinen Marktwert bestätigen und riskiert deshalb eine neue Liebe?
C. Egli: Seinen Marktwert zu testen ist in jedem Alter spannend ...
C. Tresch: ... mit 50 Jahren muss ich keine Karrieresprünge mehr machen. Da kann ich mich eher wieder auf das konzentrieren, was ich mir von Leben erhofft habe. In diesem Lebensabschnitt hat man eher eine Ahnung, dass das Leben nicht ewig dauert.

Und sich verlieben ...
C. Tresch: Das geschieht vor allem bei Frauen. Sie ändern in diesem Alter auch ihr Beuteschema. Statt einen Ernährer und Vater für die Kinder, der Sicherheit und Geborgenheit gibt, suchen sie das gros­se Abenteuer und einen Partner, der den neuen Ansprüchen gerecht wird ...
C. Egli: Und das ist nicht mehr der Papi, der am Abend müde vor dem Fernseher oder dem Computer sitzt, wie die Frauen in der Beratung klagen. Sind die Frauen aus der Kinderphase heraus, wollen sie am Abend ins Theater, ins Konzert oder noch «Eins ziehen», während er müde ist.

Geht es nach einer Scheidung besser?
C. Tresch: Statistiken zeigen, dass es den Männern in der ersten Phase schlechter geht, den Frauen besser. Nach zwei oder drei Jahren kann dies drehen.

An was liegt dies?
C. Egli: Trotz Emanzipation sorgen Frauen dafür, dass es ihren Männern gut geht. Sie gestalten den Alltag der Familie und sorgen für das soziale Umfeld. Den Männern fehlt nach der Trennung oftmals das soziale Beziehungsnetz.
C. Tresch: Es gibt Scheidungen, die tatsächlich eine Befreiung darstellen. Doch ein Allheilmittel sind sie nicht. Meist bedeutet die Scheidung einen finanziellen Abstieg. Das Einkommen muss nun für zwei Haushalte reichen.

Ist der finanzielle Eingriff so gravierend?
C. Tresch: Ja. Mit zwei oder drei Kindern geraten Geschiedene rasch an den Rand des Existenzminimums. Das beeinflusst auch die neue Beziehung. Muss ein Mann für seine drei Kinder aufkommen, dann wird er sich in der nächsten Ehe kaum ein Kind leisten können. Die neue Frau muss dann oftmals auf ihren Kinderwunsch verzichten.

Wie sieht die zweite Beziehung aus?
C. Tresch: Keine Partnerschaft ist gleich. Jede ist anders. Wenn man nicht bereit ist, sich mit dem auseinander zusetzten, was schief gelaufen ist, ist das Risiko hoch, die gleichen Fehler wieder zu begehen.

Was raten Sie, wenn jemand nicht weiss, ob er die Ehe noch weiterführen will?
C. Egli: Im Gespräch versuchen wir die Gründe heraus zu finden und sehen, welche Wege möglich sind. Jede Entscheidung hat ihren Preis und die Partner müssen sich fragen, will und kann ich damit leben.
C. Tresch: Hinter dieser Frage verbergen sich oftmals andere Probleme. Beispielsweise die Angst, plötzlich nicht mehr in der Familie gebraucht zu werden. 30 Jahre lang kümmerte man sich um den Haushalt und die Kinder und muss sich nun überlegen, was man mit dem eigenen Leben noch anfangen möchte. Das bereitet Angst und man sucht jemanden, der einen dabei unterstützt.

Wie gross ist die Gesprächsbereitschaft beider Partner?
C. Tresch: Sehr gross. Das bedeutet aber nicht, dass die Ehe gerettet werden kann, sondern dass sich die beiden darum bemühen, die Situation zu klären. Das ist auch wichtig, denn selbst wenn man als Paar getrennt ist, so hat man weiter die gemeinsame Verantwortung als Eltern und begegnet sich etwa an der Konfirmation der Kinder oder der Hochzeit der Tochter.
C. Egli: Die Partner sollten sich auch fragen, ob es neue Beziehungsmuster geben könnte?

Eine Dreiecksbeziehung?
C. Tresch: Warum nicht? Die Frage lautet doch, was ist in dieser Beziehung möglich? Die Antwort darauf ist sehr individuell und muss besprochen werden. Nur so kann man entscheiden, was man will.
Ist es eine Katastrophe, wenn man sich in einen anderen Mann oder eine andere Frau verliebt?
C. Tresch: Für einen der beiden ist es grauenhaft. Doch das Leiden, die Unsicherheit und die Angst zeigen auch, wie viel einem der Partner noch bedeutet und öffnen vielleicht wieder den Weg zum anderen. Ein Seitensprung muss nicht das Aus der Ehe bedeuten.
Was raten Sie Paaren, die spüren, dass in ihrer Beziehung die Luft draussen ist?
C. Egli: Mehr Zeit miteinander zu verbringen. Oftmals gelingen Partnerschaften auf einer funktionalen Ebene bestens. Er geht jeden Tag zur Arbeit. Sie macht den Haushalt und kümmert sich um die Kinder. Daneben haben beide ihre Hobbys. Doch die Zeit und der Raum als Liebes­paar existiert in ihrem Leben nicht. Hilfreich wäre es, sich einen gemeinsamen Abend pro Woche zu reservieren. Einen Abend, an dem man mit dem anderen den Traum und die Wünsche, die man noch irgendwo leise hegt, gemeinsam umsetzt.



Zum Bild: «Scheidungen sind kein Allheilmittel»: Caroline Tresch-Saxer und Cornelia Egli-Angele von der Beratungsstelle für Partnerschaft Schaffhausen. | tz

Tilmann Zuber

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