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Café der Solidarität

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01.01.2016
In die Schweiz kommen nicht nur gut ausgebildete Akademiker, sondern auch Arbeitslose aus der EU. Für diese ist die Kirche oftmals die einzige Anlaufstelle.

Freitagabend im Zürcher Niederdorf. Rund vierzig Männer und einzelne Frauen sitzen an den Tischen im Café «Yucca». Viele sind müde, andere spielen Schach, hantieren wild am Tischfussball oder blättern zum x-mal das Gratisblatt «20 Minuten» durch. Die meisten von ihnen stammen aus dem Schengen-Raum und warten hier auf Termine und Jobs, die nicht kommen. Und aufs Nachtessen. Bärlauchsuppe, Kartoffelgemüse-Auflauf mit Salat. Zwischen 40 bis 50 Essen gibt das Yucca am Abend aus.
Mittendrin sitzt Regula Rother. Ihre roten Haare wirbeln in alle Richtungen. Sie versucht zwischen den Angestellten und einer Gruppe Rumänen zu vermitteln, die unangemeldete Gäste zum Essen mitbringen. «Ihr habt doch alles und Jesus hat gesagt, wir sollen teilen», wird ihr fordernd vorgehalten. Ein Vorwurf, den die
Leiterin der Stadtmission öfters zu hören bekommt und der sie herausfordert. Ihre Arbeit ist eine ständige Gratwanderung zwischen christlicher Nächstenliebe und Sozialmanagement. «Wir versuchen Nothilfe zu leisten, da wo Not vorliegt. Aber wir dürfen keine Hoffnung schüren auf etwas, das wir nicht einlösen können», beschreibt die 61-Jährige das Dilemma. Eigentlich bräuchte es mehr Projekte in den Herkunftsländern.

In der Schweiz keine Chance
Das «Yucca» ist neben den «Sozial­werke Pfarrer Sieber», dem «Christen­hüsli», der Heilsarmee eine der wenigen Anlaufstellen für Emigranten aus den EU-Ländern. Während die Schweiz für Ärzte, IT-Spezialisten und gutausgebildete Fachkräfte den roten Teppich ausrollt, zeigt sie dem Heer der Arbeitslosen aus den südlichen EU-Ländern die kalte Schulter. Doch davon lassen sich die Spanier, Portugiesen, Rumänen und Osteuropäer nicht abhalten. Sie reisen ein, mit der Hoffnung auf Arbeit, Unterkunft und Geld, um ihre Familie zu unterstützen.
Die Lebenskosten sind für sie zu hoch, deshalb schlafen sie draus­sen unter freiem Himmel. «Sie machen sich falsche Hoffnungen», erklärt Regula Rother. Für ungelernte Wanderarbeiter gebe es in der Schweiz keine Chance.
Im letzten Winter spitzte sich die Situation zu, als die Temperatur weit unter den Gefrierpunkt fiel. Die Stadtmission handelte sofort und errichtete eine temporäre Notschlafstelle, in der rund 460 Personen übernachteten. Die Leute mussten auch duschen und brauchten warmes Wasser. Regula Rother wandte sich für die Unterstützung an die Stadt Zürich. Doch Martin Waser, Vorsteher des Sozialdepartements, zeigte sich unbeeindruckt. Im Gegenteil, er riet dringend davon ab, zusätzliche Angebote zu schaffen, da diese eine Sogwirkung entfalten würden. «Das Sozial­amt kann sich hinter den Paragraphen verstecken», meint Regula Rother, «wir nicht.»
Seit mehr als vier Jahren leitet Regula Rother die Stadtmission. Als erste Frau und Nicht-Theologin in der 150-jährigen Geschichte der Institution, fügt Rother selbstbewusst hinzu. Zuvor arbeitete sie im Kader des Sozialdepartements der Stadt Zürich. Doch «die Stelle war mir zu langweilig». In einem Alter, in dem andere schon ihre Pension planen, bewarb sie sich auf ein Inserat, in dem die Leitung der Stadtmission gesucht wurde. Bereut hat sie den Wechsel keinen Augenblick.
Für Regula Rother gehört die Dia­konie zur Verkündigung. Die Kirche braucht beides. «Soziale Arbeit ohne Spiritualität brennt aus. Und Spiritualität ohne soziales Engagement ist abgehoben.»

Tilmann Zuber

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