«Es muss Fragen geben, die offen bleiben»
«Seid allzeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.» Dieses Wort aus dem 1. Petrusbrief wurde mir zur Ordination gesagt. Rechenschaft über die Hoffnung, die in mir ist so sehe ich auch meinen Predigtdienst motiviert. Wenn ich an Christus glaube, wird mir vor allem Hoffnung geschenkt: Die Hoffnung, dass das, was Menschen tun und erleiden, nicht alles bestimmt und auch nicht alles ist. Die Hoffnung, dass derselbe Gott, der die Welt geschaffen hat, ihr gegenwärtig bleibt und sie neu schaffen will. Die Hoffnung, dass Gott seinen Segen gibt, wenn ich so etwas Unmögliches wage, wie eine Predigt vorzubereiten in der Annahme, sie könne irgend jemandem etwas Gültiges sagen.
Diese Hoffnung macht mich fröhlich, so dass ich mich auf den Dienst am Sonntagmorgen manchmal freuen kann wie ein Kind. Wenn ich dann im Laufe der Woche Zweifel bekomme an der Kirche, für die ich Phantasien entwickeln möchte, an den Menschen, die mich dabei unterstützen oder auch nicht, an der Welt, weil sie so unverbesserlich ist, und nicht zuletzt an mir selbst, weil ich ja auch unverbesserlich bin dann erneuert sich am Sonntag die Hoffnung. Die Zweifel ziehen sich wieder zurück, und ich kann darüber nur jedes Mal staunen.
Was die Menschen aus einem Gottesdienst mitnehmen, liegt nicht in meiner Hand. Manchmal bedanken sie sich für etwas, von dem ich nicht weiss, dass ich es gesagt habe. Sie haben es aber trotzdem gehört, wahrscheinlich aus guten Gründen. Für mich sind solche Rückmeldungen hilfreich. Sie zeigen mir, wie kontingent die Kommunikation von der Kanzel her ist vom Glauben her gesagt und im Lichte der Hoffnung gesehen: wie geistbewegt sie ist! Gottes Geist weht, wo er will: hoffentlich oft mit den Worten der Predigerin, oft genug jedoch auch ihren Worten zum Trotz. Eine Verheissung liegt so oder so auf der Kanzelrede: Nicht, weil sie «von oben herab» geschieht, sondern weil sie sich immer wieder auf biblische Worte und Geschichten bezieht. Das allein macht sie «geistreich»: Die Erwartung, dass ein biblischer Text immer noch einen Mehrwert hat gegenüber allen Auslegungen.
Ein Witz lässt sich demselben Publikum nur einmal erzählen. Ein biblischer Text ist auch nach der zehnten Predigt noch offen dafür, neu gehört zu werden. Wenn ich bei der Vorbereitung auf einen Gottesdienst einen bekannten Text auf einmal von einer ungewohnten Seite her entdecke und dabei etwas verstehe, was ich so bisher noch nicht verstanden habe, stellt sich bei mir Begeisterung ein. Ich bin dann zuversichtlich, dass auch andere Menschen sich von einer solchen Entdeckung begeistern lassen.
Eine der nachhaltigsten Reaktionen auf meine Predigten war eine negative: Einmal sagte mir eine Frau, sie würde in meinen Predigten «verhungern». So kränkend diese Rückmeldung war, ich denke immer wieder über sie nach. Es liegt vielleicht daran, dass es mir meistens wichtiger ist, Fragen zu stellen, als Antworten zu geben. Es gibt Fragen, die müssen offen bleiben. Auch das habe ich in der Dogmatik gelernt. Dennoch schulde ich der Gemeinde an einem Sonntagmorgen nicht die Beunruhigung durch Fragen, als vielmehr die Erinnerung an Gottes Jawort zu uns. Dies sollte ausser Frage stehen!
Caroline Schröder Field
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