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«Sobald ich zu mir stehe, bin ich frei, mein Leben zu leben»

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01.01.2016
Für den Moderator Ruedi Josuran war seine Depression der Moment, um in seinem Leben über die Bücher zu gehen. Er weiss, wie rasch man in den Teufelskreis eines Burnouts gerät.

Herr Josuran, heute klagen viele zunehmend über Burnout. Was sind die Gründe?
Unsere Arbeitswelt ist rasanter und das Leben ist komplexer geworden. Auf der anderen Seite spielt die eigene Persönlichkeit eine grosse Rolle. An der momentanen Diskussion stört mich, dass man vieles, wie die Traurigkeit nach Trennung, Todesfall und Krankheit, nicht mehr zulässt, sondern als krank abstempelt. Zeiten der Trauer gehören zum Leben. Mich stört es, dass der Begriff Burnout so inflationär gebraucht und bagatellisiert wird.

Haben Sie jemals geglaubt, in ein Burnout zu geraten?
Nein. Im Leben geschieht einiges, das sich nicht planen lässt. Vor vier Jahren erlitt ich einen Herzinfarkt. Auch da dachte ich, mir könnte dies nicht passieren. Doch warum sollte es nur die anderen treffen?

Haben Sie keine Anzeichen verspürt?
Ich gehöre zur überwiegenden Mehrheit, welche die Anzeichen nicht bemerken. Ich habe sie schlicht ausgeblendet. Und dann war es zu spät.

Welche Signale hätten Sie wahrnehmen können?
Ich litt an Schlaflosigkeit und einer destruktiven Gedankenspirale, aus der ich nicht herauskam. Vieles, das mir zuvor leicht von der Hand ging, brauchte mehr und mehr Energie. Am Schluss ging es nicht mehr.

Gibt es Strukturen oder Persönlichkeitszüge, die Burnout begünstigen?
Die äusseren Faktoren der Arbeitswelt sind das eine. Das andere ist, wie wir mit der Situation umgehen. Auch wenn wir die gleiche Situation erleben, so reagieren wir doch verschieden. Entsprechend geraten die einen ins Burnout, die anderen nicht. Die Persönlichkeit ist nicht zu unterschätzen. Jemand kann sich beispielsweise nicht abgrenzen, reagiert sensibler oder braucht seinen Arbeitsrhythmus. In einem falschen Umfeld kann sich dies fatal auswirken.

Warum haben so viele grosse Schwierigkeiten, Nein zu sagen?
Das habe ich übrigens auch. Ich habe ein gewisses Harmoniebedürfnis und wollte die Leute nicht enttäuschen. Dafür musste ich einen hohen Preis bezahlen.

Wie gelingt es, aus dem Kreislauf auszusteigen?
Wichtig ist, dass man sich eingesteht, wo man gelandet ist und sich Hilfe holt. Meist glaubt man, irgendwie schaffe man es schon. Das ist ein Irrtum. Auch ich brauchte Hilfe, zunächst vom Hausarzt und dann von einer Psychiaterin.

Reicht es nicht, die Stelle zu künden und das Umfeld zu ändern?
Meistens nicht, denn man nimmt sich doch mit und die Schwierigkeiten beginnen von Neuen. Ich bin dafür, dass man sich ihnen stellt. Burnout ist keine Schande. Man muss sich nicht schuldig fühlen und hat nichts falsch gemacht.

Was soll man tun, wenn man spürt, ich schaffe es nicht mehr?
Eine solche Krise kann eine Chance sein, wenn sie rechtzeitig und am richtigen Ort angeschaut wird. Am besten mit jemand Aussenstehendem, etwa einem Freund, Seelsorger oder Psychologen. Mit dieser Person, der ich vertraue, nehme ich dann eine Standortbestimmung vor. Ich frage, wo stehe ich im Leben? Will ich an dieser Stelle bleiben? Passt die Arbeit zu mir? Stimmt meine Energie-Balance? Wo kann ich auftanken? In der Beratung stelle ich zunächst nur Fragen, denn jeder Mensch trägt die Antworten in sich drin. In der Krise hat er dazu lediglich keinen Zugang mehr.

Welche Rolle spielt die Spiritualität?
Gerade in Krisenzeiten brechen Fragen nach dem Sinn und der Bedeutung des Lebens und nach Gott und Tod auf. Für mich ist die Spiritualität eine entscheidende Quelle für meine Ressourcen. In einer Depression kann es geschehen, dass ich den Anschluss an diese Quelle verliere. Auch ich konnte damals nicht mehr glauben. Gott war für mich nicht mehr da. Er war weit weg. Ich denke, in dieser Zeit war meine Wahrnehmung verzerrt.

Hilft es, wenn man rechtzeitig beginnt, in seinem Leben stille Zeiten einzurichten, sei es für Meditation oder das Gebet?
Ja, solche Strukturen im Alltag sind wichtig. Da erlebe ich, dass Gott für mich ein Gegenüber ist. Er nimmt mich so an, wie ich bin. Ich muss nicht gesünder und besser dastehen. In der Figur von Jesus kommt mir Gottes Wort entgegen. Er möchte, dass ich erfahre, wie einzigartig ich bin, und dass ich zu mir stehen darf, auch in der Krise. Ich bin dadurch nicht weniger wertvoll. Dieses Gegenüber und Du ist für mich der entscheidende Unterschied der christlichen Spiritualität zu anderen Entspannungstechniken.

In der Bibel gibt es zahlreiche Stellen, die von Krankheit und Heilung berichten. Welche hat Sie besonders beeindruckt?
Die Geschichte von der Heilung des Gelähmten im Markusevangelium. Als ihn die Freunde durchs Dach hinunterlassen, sagt Jesus zu ihm, du musst dich nicht schuldig fühlen, dir ist vergeben. Nimm dein Bett und stehe auf. Die Erzählung hat mich tief berührt. Sobald ich mich nicht mehr schuldig fühle und zu mir stehe, bin ich frei, mein Leben zu leben. In dem Moment, in dem ich realisiere, dass ich mit all meiner Unvollkommenheit gut bin, erlebe ich eine Kraft und Grundmotivation, die mich ins Leben führt. Das symbolische Bett, das ich mit mir trage, erinnert mich daran, dass ich weiterhin meine Schwächen und Grenzen habe und trotzdem meine Schritte machen kann.

Sie haben vor ein paar Jahren einen Herzinfarkt erlitten. Hat sich dadurch Ihr Leben verändert?
Der Herzinfarkt war sicher lebensbedrohend. Doch die Depression erlebte ich schlimmer. Bei einer Depression ziehen sich die Leute zurück, denn sie können einen nicht verstehen. Die Krankheit ist nicht sichtbar. Beim Herzinfarkt hingegen erhielt ich viel Zuspruch und Verständnis, und ich konnte ihn leichter verarbeiten.

Wir stehen kurz vor den Ferien. In dieser Zeit suchen viele eine Insel auf. Herr Josuran, wo liegen Ihre Inseln im Alltag?
Ich versuche tatsächlich, Inseln in mein Leben einzubauen. Das Gebet ist mir sehr wichtig. Es ist für mich ein ständiger, innerer Dialog. Ich versuche Gott in alles, was ich erlebe, einzubeziehen. Das kann in der Stille geschehen oder im grössten Lärm, etwa im Zug oder Tram. Ich schliesse dann die Augen und schalte ab. Manchmal stelle ich mir in Gedanken vor, wie ich am Meer entlang spaziere. Das sind dann für mich Inseln im Alltag.


Zur Person
Ruedi Josuran moderiert den vierzehntäglichen Talk «Fenster zum Sonntag», auf SRF 2. Jahrelang arbeitete er als Moderator bei SF 1, Radio 24 oder Radio Zürichsee. In seinem Buch «Mittendrin und nicht dabei» betrachtet er seine Depression von verschiedenen Seiten. Er arbeitet er als Lifebalance-, Gesund-
heits- und Career-Coach beim BGM-Forum Schweiz in Zug.

Tilmann Zuber

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