Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Die Kirche ist herrlich weit von ihrem Zerrbild entfernt

min
01.01.2016
Warum ich auf die Kanzel steige. Wenn Pfarrer Beat Wanner im Schaffhausischen Hemmental auf die Kanzel steigt, will er, allen Kirchenkritikern zum, Trotz Mut machen.

Warum ich auf die Kanzel steige? Um die Gemeinde zu ermutigen. Ermutigen zum Gottvertrauen, zum Glauben, zur Liebe, zur Hoffnung. Ich will Mut machen, gemeinsam Kirche Jesu Christi zu sein und dazu zu stehen.
Warum ermutigen? Ein Blick ins Bücherregal: Da verkündet ein Mil-lionenbestseller, der Glaube sei ein Übel, vergleichbar dem Pockenvirus, aber schwerer auszurotten. Oder eine Erinnerung aus den Nachrichten vor einem halben Jahr: Ein Schweizer Parteichef lässt verlauten, religiöse Menschen seien geisteskrank. Dann noch ein paar Klicks im Internet und man wähnt sich vollends in die Tage der sowjetischen Gottlosenbewegung und ihrer antichristlichen Propaganda zurück versetzt. «Verbietet endlich diesen korrupten Märchenverein. Religion ist Gift.» «Alle Religionen und ihre Vertreter verdienen Verachtung!» «Kirchen sollte man verbieten, genau so wie jede Religion an sich.» Für solche Parolen gegen ein Grundrecht (!) braucht man noch nicht mal den Internetauftritt des nordkoreanischen Regimes zu bemühen. Solcherlei findet sich zuhauf in den Kommentarspalten vielgelesener Nachrichtenportale. Als Anlass genügt bereits ein Bericht über ein Theologie-Camp, mit dem die Deutschschweizer Kirchen Interesse für den Pfarrberuf wecken möchten: Die Leserschaft antwortet hundertfach mit dem Aufschrei «Gehirnwäsche!». Sie tut es auch deshalb, weil die Redaktion dieses Stichwort zuhanden einer Umfrage überhaupt erst in die Runde geworfen hat.

Die Kirche hat Gegner
Einige Kirchengegner treiben die an sich berechtigte Kritik sehr aktiv, gezielt und organisiert ins absurde Extrem. Daraus entstehen monströse Zerrbilder. Versatzstücke aus diesen Zerrbildern sind in breite Schichten der Gesellschaft eingesickert und sorgen für entsprechende Akzente in mancher Debatte: Glaube sei doch ein Merkmal der Denkfaulen, denen es an Wissen mangele, und treibe zur Gewalt, ja, sei gar deren hauptsächliche Quelle. Belege für das Gegenteil oder eine vorsichtige Differenzierung zwischen islamischen Fundamentalisten und der örtlichen Kirchgemeinde sind da nicht immer gefragt.
Wie herrlich weit ist die Kirche, wie ich sie bisher erleben durfte, von ihren Zerrbildern entfernt! Nicht dass ich je eine vollkommene Kirche erlebt hätte; aber dafür eine, wo auch ich als unvollkommener Mensch dazu gehören darf. Soweit ich mich zurück erinnern kann, waren da immer Menschen, die mir Gutes weitergeben wollten. Allen Zerrbildern zum Trotz: Nie hat mich jemand in der Kirche zu Hass und Gewalt aufgestachelt oder von mir verlangt, das Hirn am Eingang abzugeben. Nein, diese Kirche hat mir Liebe und Barmherzigkeit als Ideal vor Augen gestellt, mich eingeladen mitzuarbeiten am Frieden und an der Gerechtigkeit.
Sie hat mein Nachdenken über Ursprung, Sinn und Ziel des Lebens gefördert und mir zu einem wohltuenden Glauben verholfen, der mitnichten gegen Vernunft und Wissenschaft streitet.
Mittlerweile längst Pfarrer dieser Kirche, versuche ich, das weiterzugeben: Einen Glauben, der den Anfragen der Vernunft standhält; der zu Liebe und Barmherzigkeit bewegt und zum Einsatz für Mitmenschen und Gesellschaft; der tröstet und Kraft gibt; der uns motiviert unser Leben im Geist und Sinn Jesu zu gestalten; der uns mit Gott und Menschen versöhnt und zur Kirche verbindet. Dazu will ich allem Gegenwind zum Trotz ermutigen.

Beat Wanner

Unsere Empfehlungen

«Es gibt kein Leben ohne Schmerz»

«Es gibt kein Leben ohne Schmerz»

Akute und chronische Schmerzen kennt jeder von uns. Was drückt dem Menschen auf den Rücken? Leben religiöse Menschen gesünder? Kann Schmerz ein Lehrmeister sein? Was ist Biofeedback? Wolfgang Dumat, Psychologe, Psychotherapeut und Experte für chronische Schmerzen, hat Antworten auf diese Fragen.
Die Angst vor den Ängsten

Die Angst vor den Ängsten

Viele Paare hüten sich davor, offen über ihre Ängste zu sprechen. Sie meiden diese Themen, da sie befürchten, missverstanden zu werden oder schwach zu erscheinen. Paartherapeut Tobias Steiger erzählt aus seiner Praxis.