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Im Doppeldecker über Afrika

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01.01.2016
Er stand 16 Jahre an der Spitze der Kirchgemeinde Luzern, mit 26'000 Mitgliedern die grösste Gemeinde im Kanton. Zum Abschied spricht Hans Oertli über Ökumene, Konflikte und sein Hobby, die Fliegerei.

Herr Oertli, Sie waren 16 Jahre lang Präsident der Kirchgemeinde Luzern. Was bedeutet der Abschied für Sie?
Im Moment fühle ich mich sehr entlastet, da ich viel Freiraum für anderes gewinnen werde. Später könnte ich mir vorstellen, den Betrieb auch zu vermissen.

In Ihrer Amtszeit hat sich die Kirchgemeinde weiter entwickelt. Was waren die grössten Veränderungen?
Das wohl wichtigste Projekt war «Transit», das uns nach fünf Jahren intensiver Arbeit 2005 zu einer neuen Gemeindeordnung brachte. Damit wurde die Kirchgemeinde Luzern als erste Gemeinde im Kanton nach dem damals neuen, kantonalen Gemeindegesetz modernisiert und neu durchorganisiert. Aus den Sprengeln wurden Teilkirchgemeinden mit mehr Mitteln für die autonome Ausgestaltung ihres Gemeindelebens. Eingeführt wurde auch der rollende, fünfjährige Aufgaben- und Finanzplan. Weitere Ereignisse waren der Wechsel der Pensionskasse und die Schaffung neuer Personalreglemente. Ein besonderes Highlight war das Jubiläum «150 Jahre Matthäuskirche».

Ein anderes Projekt, welches in Ihrer Amtszeit wuchs, war die Etablierung der Hochschulseelsorge.
Das Projekt hat uns die Kantonalkirche übergeben, da sie zu wenig Mittel hatte, es selbst durchzuführen. In Felix Mühlemann fanden wir einen geeigneten Gemeindepfarrer, der den Zugang zur Universität schnell fand. Vor allem auch die Zusammenarbeit mit der katholischen Seite ist für mich eine Erfolgsgeschichte. Nach dreijähriger Pilotphase hat die Kantonalkirche nun wieder übernommen und das Pensum sogar noch aufgestockt.

Die Universität als Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft wie wichtig war es Ihnen, hier präsent zu sein, auch im Hinblick auf die römisch-katholische Kirche?
Die Zusammenarbeit in der Hochschulseelsorge oder der kirchlichen Gassenarbeit zeigt, wie gut wir uns heute mit den Katholiken auf Augenhöhe nicht als Konkurrenten sondern als Partner verstehen. Eine gute Basis für weitere Projekte.

Die Ökumene funktionierte aber nicht immer so gut.
Meine Generation ist noch mit Berührungsängsten gross geworden. Glücklicherweise konnten diese inzwischen abgebaut werden. Ich erlebe heute einen gelösteren Umgang mit den konfessionellen Auffassungen. Viele Katholiken beschäftigen sich kritisch mit den eigenen Vorschriften. Auch die Reformierten handhaben vieles nicht mehr so streng wie früher. Noch vor 25 Jahren bezeichnete ein reformierter Pfarrer im Unterricht meiner Kinder diejenigen als Verräter, die bei katholischen Jugendorganisationen mitmachten.

Merken Sie diese Veränderung auch bei sich persönlich?
Ja. Letzte Weihnachten kam ich mit meiner Familie etwas zu spät zum Kinderweihnachts-Gottesdienst in der Matthäuskirche. Die Kirche war zum Bersten voll. Da ich nicht im Eingang stehen bleiben wollte, bin ich wieder gegangen und landete auf meinem Spaziergang in der Weihnachtsfeier der Hofkirche. Früher wäre dies für mich undenkbar gewesen.

In so vielen Amtsjahren gibt es auch Konflikte. Aktuell beschäftigt der Wunsch der Teilkirchgemeinden Meggen und Horw selbstständig zu werden, den Kirchenvorstand. Wie ist es, wenn zwei der «Kinder» nicht mehr zur Familie gehören wollen?
Die Gemeinden mit Kindern zu vergleichen ist wohl nicht ganz passend, aber es beschreibt das Gefühl ganz gut. Der Verbund der Teilkirchgemeinden war mir immer ein Anliegen. Aus Sicht eines Familienvaters kann ich den Wunsch nach Selbstständigkeit verstehen. Man lässt die Kinder ja auch ziehen, wenn sie erwachsen sind manchmal schweren Herzens, weil man der Meinung ist, dass alle Bedingungen gut waren.

Doch so rational wurde die Diskussion darüber nicht immer geführt...
Es geht schon mit Emotionen einher. Vor allem wenn man Begründungen hört, die nicht stimmen. Es wundert und ärgert mich, wenn Leute sich über mangelnde Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kirchgemeinde Luzern beschweren, obwohl sie jahrelang in kirchlichen Behörden sassen und die Geschicke mitbestimmen konnten.
Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit in einer starken kirchlichen Organisation wird trotz schwindender Mitgliederzahlen nicht immer erkannt. Es bringt dem Kirchenvolk wenig, einer vereinzelten, kleinen Kirchgemeinde anzugehören, die über immer weniger Ressourcen verfügt.

Kritiker der Kirchgemeinde Luzern sagen, sie sei eine «unnötige Zwischenebene», welche die Abläufe mit doppelt geführten Parlamenten und Verwaltungen kompliziere.
Doppelspurigkeiten gibt es kaum. Im administrativen Bereich wird schon heute vieles zusammengelegt. Politisch sind wir gemäss Gemeindegesetz organisiert: Auf Gemeindeebene gibt es ein eigenes Parlament, den Grossen Kirchenrat. Auch die Kantonalkirche hat ihre Organisationsform mit ihrem Parlament, der Synode. Im politischen Bereich wählen wir ja auch Vertreter auf verschiedenen Ebenen: für den Einwohner-, den Kantons- und den Nationalrat. Alle haben spezielle Aufgaben und ihre demokratische Legitimation.

Sie sind passionierter Hobbyflieger. Wenn Sie in zehn Jahren über die Kirchgemeinde Luzern kreisen, was würden Sie gern sehen?
Ich hoffe, es wird die reformierte Kirche immer noch geben. Wie, das wird sich zeigen. Stetige Veränderungen gehören dazu.

Werden Sie sich nach dem Abschied noch in der Kirche engagieren?
Kirchlich werde ich mich erst einmal zurückhalten und meine anderen Hobbys pflegen. Meine Leidenschaft gehört dem Fliegen und dem möchte ich vermehrt nachgehen, solange ich kann: als Mitglied einer Gruppe, die mit einem alten Antonow-Doppeldecker durch Europa und Afrika fliegt.


Zum Bild: Abschied nach 16 Jahren. Der Präsident der Kirchgemeinde Luzern, Hans Oertli, gibt sein Amt nach 16 Jahren im Sommer an Nachfolgerin Marlene Odermatt ab. Der 74-Jährige studierte Bauingenieur gehörte dem Kirchenvorstand insgesamt 20 Jahre an. Oertli ist verheiratet, Vater von vier Kindern und Grossvater von sechs Enkelkindern.

Annette Meyer zu Bargholz

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