Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Sprachsensibler Streiter für das Wort Gottes

min
01.01.2016
Nachruf auf Pfarrer Werner Reiser (19252013) Seine sprachgewaltigen Weihnachts-erzählungen machten ihn weithin bekannt, seine feinsinnige Seelsorge beliebt: Pfarrer Werner Reiser, der kürzlich im Alter von 88 Jahren starb.

Hochbetagt ist Werner Reiser, der ehemalige Münsterpfarrer, am 6. August gestorben. Wer ihn predigen hörte, in den letzten Jahren hin und wieder in der Tituskirche, hat seine packende Auslegung biblischer Texte nie mehr vergessen. Er liess sich weder einer orthodoxen noch einer liberalen Richtung zuordnen und wurde vielleicht zuerst von manchen nicht verstanden. Mit seiner gedankenscharfen und zugleich seelsorgerlich sensiblen Sprache gewann er aber quer durch alle kirchlichen Gruppierungen viele Menschen. Ohne dass er je erbaulich wurde, baute er auf. Die Basler Kirche verdankt ihm viel.
Reiser stammte aus dem Zürcher Oberland. Vom Vater, einem Industriearbeiter, hatte er sein ausgeprägtes soziales Bewusstsein und von der Mutter, einer Weberin, das religiöse. Schon mit 14 Jahren wollte er Pfarrer werden. Er war es zuerst im aargauischen Reinach. Für zwei Jahre kam er dann als Studentenpfarrer ein erstes Mal nach Basel. Dann holte ihn die Steiggemeinde nach Schaffhausen. Als die Basler Münstergemeinde die Fühler nach ihm ausstreckte, lehnte er zuerst ab. Zum Glück war aber die Pfarrwahlkommission hartnäckig. Mit einem gesunden Mass an Skepsis gegenüber der hohen Kanzel nahm er schliesslich den Ruf doch an und wirkte hier von 19701990. Vier Jahre lang war er Sprecher in der Fernsehsendung «Wort zum Sonntag». Und während acht Jahren unterrichtete er als Lektor die Predigtlehre an unserer theologischen Fakultät, die ihm 1984 die Ehrendoktorwürde verlieh.
Fantasievoller Gemeindepfarrer und feinfühliger Seelsorger
Werner Reiser hatte ursprünglich nach seinem Theologiestudium in Göttingen beim Alttestamentler Walter Zimmerli über ein Thema zu den Psalmen promovieren wollen. Er brach aber die Arbeit daran ab. Ohne Zweifel hätte er das Zeug zum akademischen Lehrer gehabt. Als Studentenpfarrer hat er später uns Theologiestudenten in Bibelkunde auf das propädeutische Examen vorbereitet. Es war etwas vom Besten, was ich während meines ganzen Studiums erfahren habe. Reiser war präsent und präzis, streng und zugleich humorvoll. Er erwartete, dass wir quer durch die ganze Bibel in groben Zügen den Inhalt jedes Kapitels auswendig wussten, in der Genesis und im Markusevangelium den jeder Perikope. Wahrscheinlich war sein eigener Anspruch an sein akademisches Vorhaben zu hoch. Oder es war die Gabe der Sprachgewalt, die in ihm zur Entfaltung drängte, die stärker war als das wissenschaftliche Interesse.
So wurde Reiser ein fantasievoller Gemeindepfarrer und feinfühliger Seelsorger. In der Landgemeinde soll er zum Erntedankfest einen Kreiselheuer oder dergleichen in die Kirche gebracht haben: Nicht nur die Sprache der Predigt, auch die symbolische Dimension der Liturgie durfte nicht in traditionellen Formen erstarren, sondern musste lebendig weiterentwickelt werden. Unvergessen sind Momente wie die minutenlang ausgehaltene Stille am Anfang der Predigt über die Freunde Hiobs, die sieben Tage und Nächte schwiegen. Obwohl er ein reformiert zurückhaltendes Verhältnis zur Kirchenmusik hatte und zuweilen mit seiner Distanziertheit fast kokettierte, waren seine Liedwahl für die Gottesdienste und gar seine Meditationen in den Konzerten der Münsterkantorei massgeschneiderte, unentbehrliche Teile des Ganzen. Seine Kollektenansagen entlockten der Gemeinde oft ein Schmunzeln und öffneten die Geldbeutel der sparsamen Basler. Zu Diskussionen über den pastoralen Talar den schwarzen oder gar einen weissen! pflegte er nur zu bemerken, ihn interessierten die Texte mehr als die Textilien. Wenn im Kirchenvorstand bei der Festsetzung der Kollektenziele das Heks zu kurz zu kommen drohte, konnte er leidenschaftlich werden. Reiser war was manche, die ihn kannten, erstaunte auch Feldprediger und nahm die Chance wahr, die dieser Dienst dem Pfarrer bot. Und er war ein respektvoller, freundschaftlicher Kollege, von dem es sehr viel zu lernen gab, aber nie frère et cochon. Er wahrte auch dann, wenn man sich sehr nahe kam, die gebührende Distanz. Die Zeit mit ihm war für mich ein Geschenk.
Reiser hat fruchtbar publiziert: ungezählte Artikel «aus der Werkstatt der Evangelisten», prägnante Aphorismen im «Nebelspalter» und vor allem seine meistens weihnächtlichen Legendenpredigten. Diese haben ihn über die Grenzen Basels hinaus weitherum bekannt gemacht. Nach seinem Abschied vom Münster erschien seine Hiob-Auslegung: «Ein Rebell bekommt recht». Da lässt er am Schluss einen fiktiven Urenkel des Hiob sagen: «Ich bin nicht Hiob. Aber eines soll mich mit ihm verbinden, der unnachgiebige und unermüdliche Schrei nach dem wirklichen und lebendigen Gott. Damit möchte ich nie zu Ende kommen.»



Bücher von Werner Reiser:
Der Weihnachtsstern: Eine Geschichte voller Lichter
Hiob. Ein Rebell bekommt recht
Vom Engel, der nicht mitsingen wollte und andere Geschichten
Die drei Gaben
Der verhaftete Friedensengel. Kritische Legenden

Pfarrer Franz Christ

Unsere Empfehlungen

«Es gibt kein Leben ohne Schmerz»

«Es gibt kein Leben ohne Schmerz»

Akute und chronische Schmerzen kennt jeder von uns. Was drückt dem Menschen auf den Rücken? Leben religiöse Menschen gesünder? Kann Schmerz ein Lehrmeister sein? Was ist Biofeedback? Wolfgang Dumat, Psychologe, Psychotherapeut und Experte für chronische Schmerzen, hat Antworten auf diese Fragen.
Die Angst vor den Ängsten

Die Angst vor den Ängsten

Viele Paare hüten sich davor, offen über ihre Ängste zu sprechen. Sie meiden diese Themen, da sie befürchten, missverstanden zu werden oder schwach zu erscheinen. Paartherapeut Tobias Steiger erzählt aus seiner Praxis.