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«Die Zukunft der Volkskirche steht auf dem Spiel»

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01.01.2016
In der Abstimmung am 24. November geht es darum, ob sich das Verhältnis von Kirche und Staat grundsätzlich ändern soll, sagt Kirchenratspräsident Frieder Tramer von der reformierten Kirche.

«Kirchenbote»: Die Regierung wollte den Staatsbeitrag an die Kirchen ursprünglich um 1 Million Franken kürzen. Das Parlament ist den Kirchen entgegengekommen: Statt 1 Million Franken soll der Staatsbeitrag nur um 400'000 Franken gekürzt werden. Weshalb bekämpfen die Kirchen trotzdem die Gesetzesvorlage?
Frieder Tramer: Die Kirchen haben von Anfang an Vorgehensweise und Inhalt der Gesetzesvorlage als Infragestellung der Beziehung zwischen Kirche und Staat verstanden. Diese Beziehung wurde 1982 mit dem Gesetz über das Verhältnis von Kirche und Staat festgelegt. Mit Staatsbeitrag und Indexierung anerkennt der Staat die Rolle, die die Volkskirchen in religiöser und sozialer Hinsicht für die ganze kantonale Bevölkerung haben. Umgekehrt erhielt er von den Kirchen Besitztümer und Ländereien. Wichtig ist mir aber, dass es im Moment grundsätzlich um die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat geht.

Welche Rolle spielen die Volkskirchen heute?
Sie gestalten Religion in Verantwortung gegenüber der ganzen Bevölkerung und bieten ihre Dienste wie Spitalseelsorge oder Notfallseelsorge allen an, unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit. Kirchgemeinden prägen das Leben im Dorf und in der Stadt mit, über die Konfessionsgrenzen hinaus. Dieses Verhältnis hat sich bewährt. Jetzt muss das Volk abschliessend darüber entscheiden, ob es die Volkskirche noch will.

Die Befürworter der Gesetzesvorlage argumentieren, dass heute lange nicht mehr alle Mitglied einer Landeskirche sind.
Volkskirche heisst nicht, dass alle in der Kirche dabei sein müssen. Sondern, dass sich die Kirchen allen gegenüber verantwortlich und offen wissen. Das ist eine Haltung, die unseres Erachtens auch Nicht-Mitglieder befürworten und davon profitieren können.

Welche Auswirkungen haben die fehlende Anpassung an die Teuerung und die fehlenden 400'000 Franken der Gesetzesvorlage?
Die Frage stellt sich so: Wer will, dass das bewährte Verhältnis zwischen Landeskirchen und Staat weiter besteht und die Kirchen das religiöse Leben in den Stadtbezirken und Dörfern weiterhin religiös, sozial und kulturell mitgestalten, muss «nein» stimmen und das Gesetz ablehnen.

Werden andernfalls die Kirchen in Zukunft ihre Aufgaben noch wahrnehmen können? Werden Pfarrstellen abgebaut? Gibt es einen Abbau bei den sozialen Dienstleistungen?
Wie es im Detail aussehen wird, kann ich nicht sagen. Unmittelbar wird sich vorerst wenig ändern. Aber die vorberatende Kommission hat bereits weitere und weitaus höhere Einsparungen angekündigt. Das ist die Stossrichtung der Politik. Es geht bei der Gesetzesvorlage um Grundsätzlicheres. Sie ist ein Signal, die Landeskirchen zu Privatvereinen zu machen.

Private Kirchen statt Volkskirchen, was würde das bedeuten?
Die Art, wie im Kanton Schaffhausen die Landeskirchen ins öffentliche Leben integriert sind, ist komplett anders als zum Beispiel in Amerika. Dort sind die Kirchen privat organisiert.
Wer also will, dass Religion weiterhin bei freudigen und traurigen Anlässen für alle offen gestaltet wird, muss «nein» stimmen. Wer will, dass Zwischenmenschlichkeit in der Gesellschaft öffentlich gepflegt wird und Kirchen nicht zurückgebunden werden in einen privaten Verein, muss die Vorlage ablehnen. Wer will, dass die Landeskirchen mit all ihren Freiwilligen und Ehrenamtlichen konstruktiv und initiativ im sozialen Bereich mitwirken, muss «nein» sagen. Denn mittel- bis langfristig gibt die Gesetzesrevision ein Signal, die Landeskirchen ins rein Private abzudrängen.

Die Regierung widerspricht mit ihrem Vorhaben der 1982 zwischen Kirche und Kanton getroffenen Vereinbarung, welche die Staatsbeiträge als Abgeltung für die historischen Rechtstitel und für gesellschaftliche Leistungen festlegt. Kann sich eine Regierung so einfach über einen Vertrag hinwegsetzen?
Das kann sie nur, wenn das Volk damit einverstanden ist. Wir sind überzeugt: Der Regierungsrat hat die Mehrheit des Volkes gegen sich, wenn er gegen die Volkskirche vorgeht. Das werden wir mit unserer Kampagne zeigen. Wenn hier Klarheit herrscht, kann man über Details dann reden. Aber bis zur Abstimmung geht es um den Grundsatz: Will das Volk weiterhin Volkskirchen?

In Kürze beginnt die heisse Phase des Abstimmungskampfes. Was wollen Sie dem Stimmvolk vermitteln?
Das Volk soll dem Staat zeigen, dass er an der bewährten Beziehung zwischen Landeskirchen und Staat festhalten soll, weil alle davon profitieren. Es gibt unzählige Beispiele für Kinder- und Jugendprojekte, Mittagstische, Seniorennachmittage. Vieles ist heute so selbstverständlich, dass man kaum darüber nachdenkt, wie es wäre, wenn es nicht mehr existieren würde.

Barbara Helg

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