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«Den Herrgott haben wir nicht ausgemustert»

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01.01.2016
Der Armee fehlen die Feldprediger. Ein Gespräch mit Urs Aebi, Chef der Armeeseelsorge, der nach 25 Jahren vor kurzem zurückgetreten ist.

Herr Aebi, Sie waren 25 Jahre lang Chef der Armeeseelsorge. Wie hat sich die Armee in dieser Zeit verändert?
Die Armee ist vor allem kleiner geworden und hat damit an Bedeutung und Stellenwert verloren. Früher zählte sie 800 000 Mann. Vor allem die Kader aus der Privatwirtschaft beteiligten sich stärker. Künftig wird die Armee noch über 100 000 Mann und eine kürzere Dienstzeit verfügen.

Schmerzt Sie dieser Rückgang?
Nein, das ist eine europaweite Entwicklung. Mit einem riesigen Heer würde die Schweiz sonst quer in der europäischen Landschaft stehen.

Wie hat sich die Armeeseelsorge in all den 25 Jahren verändert?
Trotz der Kürzungen haben wir den Herrgott noch nicht ausgemustert. Spass beiseite: Die Aufgaben der Armeeseelsorge haben sich kaum verändert. Wir betreuen nach wie vor alle Angehörigen der Armee, heute fast intensiver als früher.

Warum?
Die heutige Jugend ist ich würde nicht behaupten verweichlicht aber weniger belastbar als früher. Sie braucht mehr Betreuung.

Junge Menschen gehen selten in die Kirche, und nun suchen sie einen Armeeseelsorger auf?
Ja. Welche jungen Männer klopfen an die Tür des Pfarrhauses, wenn sie Probleme haben? Mancher Pfarrer stellt fest, dass er im Militär noch Seelsorgegespräche führen kann. Die Seelsorge im Militär ist eine Männerseelsorge. Viele Soldaten und Rekruten stellen im WK oder in der RS fest, dass der Pfarrer eigentlich ein ganz patenter Typ ist, mit dem man reden kann. Nicht wenige finden so wieder den Kontakt zur Kirche.

Welche Probleme kommen auf den Tisch?
Natürlich Liebeskummer. Die Rekruten sind erstmals weg von den Eltern und der Freundin, und die hat wenig Verständnis, dass ihr Freund selbst am Samstag oder Sonntag nicht heimkommt. Daneben gibt es psychische Schwierigkeiten wie Angst vor dem Schiessen oder der Gasmaske oder finanzielle Probleme, dass jemand seine Handyrechnung, die Kosten für das Auto, die Miete oder die Krankenkasse nicht mehr bezahlen kann.

Ein anderes Thema: Wie oft mussten Sie in Ihrer Karriere begründen, warum ein Christ auch zur Waffe greifen muss?
Diese Frage wird den Armeeseelsorgern immer wieder gestellt. «Du trägst eine Pistole. Wie kannst du dies als Christ rechtfertigen?» Ich habe dazu ein eindrückliches Erlebnis gehabt:
Ich musste Seelsorger rekrutieren und rief einen Jesuiten an. Der erklärte mir, er könne nicht, denn er wolle nicht mit einer Pistole schiessen. Ich habe dies bedauert. Nach Jahren telefonierte mir der Jesuit und erklärte mir, er sei jetzt bereit, den Dienst zu leisten. Er wäre jetzt auch bereit, Schiessen zu lernen. In Ex-Jugoslawien habe er erlebt, wie Frauen und Kinder ermordet wurden. Es könne nicht Gottes Wille sein, dass man nur zuschaut, wenn man es verhindern könnte. Für die Aufgabe war der Jesuit jetzt jedoch zu alt.

Der Schweizer Armee fehlen heute die Seelsorgerinnen und Seelsorger. Was ist der Grund, dass sich Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr stellen?
Da gibt es verschiedene Gründe:
Einerseits fehlt der katholischen wie auch der reformierten Kirche der geistliche Nachwuchs. Andererseits setzen viele Studierende heute ihren Schwerpunkt auf die Aus- und Weiterbildung und wollen sich nicht verpflichten, bis zum 50. Alterjahr zu dienen.

Kirche und Armee machen eine ähnliche Entwicklung durch. Früher traf man hier alle Gesellschaftsschichten. Heute fehlen in der Armee mehr und mehr die Führungseliten.
Deshalb wehren wir uns gegen die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Wenn nur noch Freiwillige Dienst tun, fehlt eine gewisse Elite. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass sich dort vor allem Arbeitslose freiwillig stellen, die froh sind, im Militär unterzukommen.

Befürchten Sie, dass sich nur «Rambos» zum freiwilligen Dienst melden?
Ja und eben Arbeitslose und weniger gut Qualifizierte. Eine Armee braucht auch kritische Menschen. Diese fehlen, falls der Dienst freiwillig wird. Sie haben danach gefragt, ob die Armee die verschiedensten Menschen zusammenbringt. Gerade in der Armeeseelsorge geschieht dies.

Inwiefern?
In Bezug auf die Ökumene übernimmt die Armee eine Pionierrolle. Durch die Verkleinerung der Armee hat man pro Bataillon nur noch einen Seelsorger, egal welcher Konfession. Gerade im Ausland staunt man darüber, wie selbstverständlich man in der Schweizer Armee zusammen Gottesdienste feiert.

Spielen die konfessionellen Differenzen keine Rolle?
Für die Rekruten und Soldaten ist das kein Thema. Übrigens, seit dem 1. September können in der Schweizer Armee nun auch Christkatholiken zum Armeeseelsorger ernannt werden.

Heute leben in der Schweiz zahlreiche Muslime. Nimmt die Armee darauf Rücksicht?
Ich bin schon oft von den Medien bedrängt worden, wann stellt ihr jetzt einen Imam an? In der Schweiz leben zwar 400 000 Muslime, aber nur ein Bruchteil davon leistet Militärdienst. Unsere Armeeseelsorger haben den Auftrag, alle Rekruten und Soldaten gleich welcher Religion und Konfession zu betreuen. Wenn jemand nach einem Rabbiner oder Imam verlangt, so werden wir ihm einen zur Verfügung stellen. Bis anhin gab es kaum eine Nachfrage. Auch Urlaubsbewilligungen für religiöse Feste oder den Sabbat sind kein Problem.

Zum Schluss: Wie sieht die Armee in 25 Jahren aus?
Ich könnte mir vorstellen, dass weitere Teile der Armee professionalisiert werden. Das heisst nicht, dass die Schweizer Armee zur Berufs­armee wird.





Wer kann Armeeseelsorger werden?
Die Armeeseelsorger rekrutieren sich aus der reformierten, der katholischen und der christkatholischen Kirche.
 Voraussetzungen für die Ernennung zum Armeeseelsorger sind:
bestandene Rekruten­schule oder einer fachspezifischen militärischen Grundausbildung von mindestens 47 Tagen
Anerkennung als Pfarrer oder Theologe sowie Ordination durch die zuständige Kirchenbehörde oder Anerkennung als Priester, Diakon oder Pastoralassistent.
Empfehlung durch die Kirchenbehörde oder das Bischöfliche Ordinariat.

Tilmann Zuber interview

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Urs Aebi

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