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E-Mail aus Kappel: Lazarus, komm heraus!

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01.01.2016
An: redaktion@kirchenbote.ch Von: Christoph Hürlimann, Pfarrer

Liebe Mailfreunde

«Lazarus, komm heraus!» Jesus ruft Lazarus aus dem Grab. Damit ist diese Geschichte ein Hinweis auf die Auferstehung und Ostern. Jesus ruft von Anfang an Menschen zum Leben. Als die meisten Menschen noch nicht lesen konnten, wurden diese Geschichten im Mittelalter und später durch Bilder vermittelt. Ein Beispiel finden wir auf der Flanke des Chorgestühls von Kappel. Die Darstellung eines Löwen mit seinen Kindern geht auf ein Büchlein aus dem 2. Jahrhundert zurück, das Physiologus heisst. Dort lesen wir: «Die dritte Eigenschaft des Löwen: Wenn die Löwin das Junge gebiert, ist es tot. Die Löwin aber behütet ihr Kind, bis sein Vater am dritten Tag kommt, in sein Gesicht bläst und es erweckt. So erweckt auch der Gott und Vater des Alls den Erstgeborenen von allen Kreaturen, unseren Herrn Jesus Christus, seinen Sohn, von den Toten.»

«Lazarus, komm heraus!» Diesem Ruf Jesu im Grab geht eine ganze Geschichte voraus. Sie zeigt uns, dass Jesus auf den Tod dieses Menschen sehr stark reagierte. Zuerst heisst es: «Als Jesus nun sah, wie Martha weinte und wie auch die Juden weinten, war er im Innersten empört und erschüttert.» Als zweites: «Da sagten die Juden: Seht, wie lieb er ihn gehabt hat!» Als drittes: «Jesus, nun von neuem zutiefst empört.» Und mitten in all diesen Worten über Jesu Gefühle der Liebe, des Zorns, der Empörung, stehen die Worte: «Jesus weinte.»

Es ist wichtig, dass wir diese Worte auf dem Weg zum Grab des Lazarus nicht überhören. Jesus ist beim Tod seines Freundes nicht der Weise, der gelassen über den Gefühlen steht. Die Bibel erzählt von seiner Empörung, seiner Liebe zum Verstorbenen und seinem Weinen. Die Vulkane aus dem Herzen kommen in diesem Bericht besonders deutlich zum Ausdruck. Auf dem Weg zum Grab erfährt Jesus den Tod nicht fatalistisch als etwas, das einfach hinzunehmen ist. Er erlebt den Tod als Feind, von dem wir mitten im Leben umgeben sind. Der Tod ist nicht nur dort, wo ein Leben zu Ende geht. Er ist auch dort, wo wir gegen uns selber leben. Diesem unerfüllten, gegen sich selber gerichteten Leben gilt Jesu Empörung. Sein Weinen gilt einem Tod, den Menschen täglich bei bester Gesundheit sterben.

«Lazarus, komm heraus!» Aus der Empörung über den Tod mitten im Leben kommt dieser Ruf. Er ruft nicht einfach ins physische Leben zurück. Er ruft zu einem neuen Leben. Von der Löwin heisst es, dass sie ihr Junges behütet und vom Löwen, dass er es anhaucht. Das sind Ausdrücke zärtlicher Zuwendung. Solche Zuwendung führt nicht ins Leben zurück, sondern in ein neues Leben. Dies will auch der Ruf Jesu am Grab des Lazarus bewirken.

Ostern ist die Herausforderung, die Empörung Jesu über den Tod mitten im Leben zu teilen. Die Auferstehung ist die Herausforderung, auf den Ruf zu einem neuen Leben zu hören. Sie ist die Herausforderung, mit Jesus ans Grab des Lazarus zu treten und auch anderen Menschen neues Leben zu gewähren. Wir sind mitten im Leben vom Tod umfangen. Wir brauchen alle mitten im Leben den Ruf zur Auferstehung den zärtlichen Hauch des Löwen. So ertönt an unserem Grab der Ruf, ob wir tot oder lebendig begraben sind: Lazarus, komm heraus!

Euer Christoph Hürlimann

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