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Wenn die Kirche zum Fernsehstudio wird

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01.01.2016
Bis zu 35 000 Zuschauer nehmen jeweils im eigenen Wohnzimmer an den live übertragenen TV-Gottesdiensten teil. Am Reformationssonntag war das Publikum zu Gast in der Mischeli Kirche in Reinach.

Pascale Huber, Pfarrerin und Radio- und Fernsehbeauftragte der Reformierten Medien, atmet erleichtert auf. Die Fernsehübertragung des Gottesdienstes aus der Mischeli Kirche in Reinach verlief ohne Pannen. Die Reaktionen seien überwältigend, freut sie sich. Auch Pfarrer Frank Lorenz ist glücklich: «Es war ein wunderbares Erlebnis. Ich vergass rasch, dass überhaupt Kameras liefen.»
Doch bis der Gottesdienst am Reformationssonntag Anfang November ausgestrahlt werden konnte, war es ein weiter Weg.

Straffes Drehbuch
Blenden wir zurück zur Hauptprobe eine knappe Woche zuvor. In der Mischeli Kirche weist Pascale Huber einmal in jene Ecke, dann wieder in die andere, diskutiert mit dem Chorleiter und spricht sich mit dem Regisseur ab. Ruhig leitet sie die Beteiligten an, und diese haben etliche Fragen: Welchen Weg nehmen die Konfirmandinnen und Konfirmanden in den Kirchenchor, wo sie ihre Sprechmotetten vortragen? Wann steigt der Pfarrer auf die Kanzel? Warum müssen die Mitglieder des Chors konzentriert bleiben, auch wenn sie nicht im Bild sind?
Die Einsätze der Musiker, der Kantorei, des Gospelchors Voice Up und aller Sprechenden müssen aufeinander abgestimmt werden. Der Ablauf des Gottesdienstes folgt bis auf eine halbe Minute genau vom Anfang bis zum Ende einem straffen Drehbuch. Jede Bewegung, jedes Wort, jede Note, jeder Blick muss sitzen. Das heisst zuhören, warten, wiederholen, einen ganzen Abend lang.
Die aufwendigen Vorbereitungen begannen aber bereits im Frühling. Kirchenmusiker Marc Meisel komponierte speziell für diesen Anlass eine Minimalmusic-Kantate. Frank Lorenz beschäftigte sich über Monate mit der Predigt, und Pascale Huber verfasste das Drehbuch, das im Verlauf der folgenden Wochen noch mehrere Male umgeschrieben wurde.

Lebendige Kirchgemeinden, gute Prediger
Für die Fernsehgottesdienste sucht Pascale Huber lebendige Kirchgemeinden und gute Prediger. Beides habe sie in Reinach gefunden.
Ein wenig Kopfzerbrechen bereitete der Pfarrerin der nüchtern-karge Kirchenraum. Eine Herausforderung, den Gottesdienst so zu gestalten, dass der Funke von der Stimmung in der Kirche in die Stuben überspringt. Aber wie die Reaktionen zeigen, sei das am Ende erfolgreich gelungen.

Kameras und Scheinwerfer
Die Besucherinnen und Besucher in der Mischeli Kirche erleben an diesem Sonntag einen ungewöhnlichen Gottesdienst. Vor der Kirche stehen die grossen weissen Übertragungswagen von SRF. In der Kirche wimmelt es von Kameras, gleissenden Scheinwerfern und Kabeln.
Von alldem bekommt das Fernsehpublikum höchstens eine Ahnung, wenn der eine oder die andere von der Kirchenbank aus einen verstohlenen Blick Richtung Kamera wagte. Denn auch die Gemeinde spielt ihre Rolle. Sie soll sich von den TV-Leuten möglichst nicht ablenken lassen. Ernst und konzentriert blicken alle nach vorne. Das Ziel sei es, so Pascale Huber, den Fernsehzuschauern das Gefühl zu geben, ein Teil dieser Gemeinde zu sein.
Fernsehgottesdienste sind aufwendig und teuer. Pro Jahr überträgt das Schweizer Fernsehen vier oder fünf reformierte Gottesdienste aus der Deutschschweiz. In Umfragen hätten über 50 Prozent bestätigt, dass es die TV-Gottesdienste brauche, weiss Pascale Huber. Wer nicht mobil ist, aber auch kirchenferne Menschen, die ein spirituelles Bedürfnis haben, seien auf die Ausstrahlungen angewiesen im Sinne eines niederschwelligen Angebots. «Die Kirche muss präsent sein und zeigen, wie die Gemeinden feiern. Wer will, kann so mitfeiern», erklärt Pascale Huber.


Zum Bild: Die Kamera fängt die Konfirman­dinnen und Konfirmanden
ein, die kurze Sprechmotetten zum Thema «Was ist unser Trost im Leben und im Sterben?» vortragen. | pfander

Karin Müller

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