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«Sexistische Witze sollte man gar nicht erst erzählen»

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01.01.2016
Sexuelle Übergriffe können auch im Arbeitsfeld Kirche geschehen. Synodalrätin Rosemarie Manser hat am neuen Ratgeber der Landeskirchen mitgearbeitet.

Betrachtet man das gesamte Erwerbsleben, werden knapp ein Drittel aller Frauen und 10 Prozent der Männer mindestens einmal sexuell belästigt, stellt das Eidgenössische Büro für Gleichstellung fest. Gilt das auch für den «Arbeitsplatz» Kirche?
Rosemarie Manser: Inwieweit diese Studien auch für kirchliche Arbeitnehmende gelten, entzieht sich meiner Kenntnis. In der Katholischen Kirche war der Missbrauch an Schutzbefohlenen in Kinderheimen in letzter Zeit ein Thema. Dort mussten alte Fälle aufgearbeitet werden.

Wie viele Übergriffe werden der Reformierten Kirche jährlich gemeldet?
Im Kanton Luzern sind bisher keine Fälle aktenkundig. Die Sensibilisierungskampagne der Kantonalkirche läuft allerdings auch erst seit wenigen Wochen.

Warum beteiligt und engagiert sich die Reformierte Kirche dann überhaupt in diesem Bereich?
Sexuelle Übergriffe sind ein Tabuthema, über das sich viele Menschen nicht getrauen, zu sprechen. Das heisst aber nicht, dass sie nicht passieren. Die Kirche kann sich eines solchen Themas nicht enthalten: Wir sind öffentlich-rechtlich anerkannt und haben auch eine Vorbildfunktion.

Der neue Leitfaden der Luzerner Landeskirchen informiert über das Verhalten bei Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen in der kirchlichen Arbeit. Wen genau betrifft das Thema?
Bei Grenzverletzungen und sexueller Belästigung geht es um den Schutz aller Mitarbeitenden und Freiwilligen. Bei sexueller Ausbeutung hingegen geht es um Missbrauch von Machtpositionen in Seelsorge, Beratung, Jugendarbeit, Unterricht oder anderen kirchlichen Arbeitsfeldern.

Welche Pflichten hat der Arbeitgeber, also die Kirchgemeinden oder die Kantonalkirche, wenn sich ein Betroffener an ihn wendet?
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist verboten. Kirchliche Institutionen sind aufgrund des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau sowie des Obligationenrechts verpflichtet, alle Mitarbeitenden davor zu schützen. Darum sollten die entsprechenden Merkblätter und Broschüren auch Bestandteil der Arbeitsverträge werden und in Personalgesprächen und Kirchenvorstandssitzungen sollte auf die Thematik hingewiesen werden.

Was ist die genaue Definition einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz? Fällt bereits ein «schmutziger Witz» darunter?
Auch Worte können verletzen. Gerade im Bereich «Grenzverletzungen» ist die Definition schwierig. Jeder Mensch hat eine andere Grenze, ab der er sich belästigt fühlt und es ihm unangenehm ist. Das Gegenüber muss diese Grenze spüren. Ich kenne das von mir selbst: Ich lange gern mal jemanden an oder klopfe ihm auf die Schulter und merke aber auch manchmal, dass das nicht jeder schätzt.
Auch bei Witzen ist der Grat zwischen «lustig» und «unangenehm» oft schmal. Sexistische Witze sollte man darum gar nicht erst erzählen.

Seit November können sich Betroffene in Luzern in und ausserhalb der Kirche beraten lassen. Durch wen geschieht das?
Als externe Vertrauensperson wurde die Theologin und Supervisorin Marie-Theres Beeler bestimmt. Sie ist im Bereich «Sexuelle Übergriffe» speziell ausgebildet. Ansprechpartner innerhalb der Reformierten Kirche sind der Synodalsekretär und Jurist Peter Möri und ich. Unsere Tätigkeit sehe ich allerdings eher in der Triage, also in der Weitervermittlung der Betroffenen an
speziell geschulte Fachpersonen oder Beratungsstellen.

Sind weitere Massnahmen geplant?
Ja, wir wollen jene Mitarbeitenden, die eng mit Menschen zusammenarbeiten, schulen. Sie müssen wissen, was erlaubt ist und was nicht. Kann ich als Katechetin zum Beispiel noch ein Kind auf den Schoss nehmen? Darf ich es umarmen, um es zu trösten? Viele sind heute verunsichert.

Viele Übergriffe werden nicht publik, weil sich die Betroffenen schämen oder befürchten, den Job zu verlieren. Was raten Sie hier?
Rechtlich ist der Arbeitsplatz nicht in Gefahr. Auf alle Fälle sollte man sich jemandem anvertrauen. Das kann zunächst eine Freundin, die Mutter oder ein Kollege sein. Austausch kann stärken. In leichteren Fällen kann es schon helfen, in einem bereinigenden Gespräch dem Gegenüber sein Unbehagen in bestimm-ten Situationen darzulegen und zu sagen: «Mir passt das nicht, ich fühle mich so nicht wohl.»



Info-Broschüre
Der Leitfaden «...respektvoll und wertschätzenden miteinander umgehen Schutz vor Grenz-verletzungen und sexuellen Übergriffen» für kirchliche Behörden, Mitarbeitende, Freiwillige und für betroffene Dritte» wurde von der römisch-katholischen, christkatholischen und reformierten Kirche des Kantons Luzern herausgegeben.
Er enthält Informationen und rechtliche Grundlagen, Kontaktangaben zu Beratungsstellen und Vertrauenspersonen.
Die Broschüre kann im Sekretariat der Kantonalkirche, Tel. 041 417 28 80, bestellt werden.

Annette Meyer zu Bargholz


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