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In der Kirche liegt die Macht in der Machtlosigkeit

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01.01.2016
Wer hat das Sagen? Gottfried Locher, Präsident des Evangelischen Kirchenbundes, Nationalrätin Maya Graf und Universitäts-Rektor Antonio Loprieno diskutierten in Basel über Einfluss und Macht.

Vor 40 Jahren einigten sich die Evangelischen Kirchen Europas in der Leuenberger Konkordie. Gemeinsam ist allen Protestanten, dass sie ein kritisches Verhältnis zu Hierarchien haben. Deshalb beschäftigte dieses Thema Ende November die Teilnehmenden der Jubiläumstagung.
Gottfried Locher gilt als Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK als «höchster» Schweizer Reformierter. Maya Graf ist als ehemalige Nationalratspräsidentin bis vor kurzem «höchste» Schweizer Politikerin gewesen. Antonio Loprieno leitet als Rektor die Universität Basel. Die drei machten sich an einem Podiumsgespräch in Basel Gedanken über die Aufgaben von Führungspersönlichkeiten in kirchlichen und staatlichen Ämtern. Sie skizzierten zum Anfang ihr Führungsverständnis, das sich zwischen Aufsichtsamt und der Stellung eines Primus inter Pares, eines Ersten unter Gleichen, bewegte. Alle waren sich einig, dass sie zwar Einfluss, aber keine Macht besitzen.

Keine Führung «von oben»
Eine «Führung von oben» gebe es weder in der Kirche noch in der Politik noch an der Universität. Wo die Macht denn liege, wollte Gesprächsleiterin Marianne Weymann, Redaktionsleiterin der Reformierten Presse, wissen. Durch die Gewaltenteilung habe niemand die absolute Macht im Staat, erklärte Maya Graf. Ohnehin begegne man in der demokratischen Schweiz einer starken, personalisierten Führung mit Skepsis.
Gottfried Locher betonte, dass auch in der Reformierten Kirche die Episkopé oder Aufsicht nicht an eine Person gebunden sei, sondern bei Gremien wie beispielsweise der Synode lägen. In der Kirche, die sich auf Christus bezieht, gelte, dass gerade in der Machtlosigkeit die Macht liege. Weiter zählte Locher die gestalterische Macht des Arguments sowie die Finanzmacht auf, welche die Strukturen der Kirche beeinflusse.
Antonio Loprieno versteht sein Amt als Rektor einer Universität vor allem als Primus inter Pares und nicht als CEO, wie er in der Wirtschaft üblich ist. Dieses Führungsmissverständnis sieht der Basler Uni-Rektor auch als Grund für den Konflikt an der Universität Zürich rund um den Fall von Christoph Mörgeli.
Für Gottfried Locher ist entscheidend, dass in der Kirche ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums vorhanden ist. Die Episkopé sei gestaltete Christusnachfolge und in diesem Sinne in erster Linie der äussere Ausdruck einer inneren Haltung. Aufsicht bedeute, die Verantwortung für die Übersicht wahrzunehmen und wie eine Brücke Verbindungen zu schaffen.
Maya Graf wies darauf hin, dass die Parlamentarier vom Volk gewählt werden. Die Verantwortung für deren Handeln liege somit nicht bei dem Nationalratspräsidenten oder der Nationalratspräsidentin. Jedoch müsse diese bei Bedarf die im Voraus vereinbarten und allen bekannten Regeln des Parlamentsbetriebs durchsetzen.

Welches sind die Stolpersteine beim Führen?
Marianne Weymann erkundigte sich nach den Stolpersteinen beim Führen. Sie sprach Gottfried Locher auf die laufende Verfassungsrevision des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes an, wo es unter anderem auch um die Einführung eines geistlichen Leitungsamtes geht, das von vielen Kantonalkirchen kritisiert wird. «Endlich wird diese Diskussion geführt, und das ist der Führung zu verdanken», konterte Locher.
In Zeiten grosser Verunsicherung und Veränderung brauche es eine Führung, welche die Diskussion beispielsweise von Fragen nach dem Institutionsverständnis und dem Pfarramt aufrechterhalte, sagte der SEK-Präsident. Wenn die Raison dêtre der Kirchen allein im diakonischen Wirken bestehe, brauche es letztlich kein Theologiestudium mehr, gab Locher zu bedenken.

Führung und Verhandlungstaktik
Beim Führen spielt die Diplomatie eine Rolle. Wie wichtig Verhandlungstaktik sei, fragte Marianne Weymann. Gottfried Locher zeigte an einem Beispiel, dass man es mit der Diplomatie seiner Ansicht nach auch übertreiben kann. So seien die Reformierten bei der Ökumene «zu lange zu diplomatisch» gewesen. Das habe zu Unklarheiten und Verunsicherung geführt. In diesem Fall solle die Kirche eine Gesprächskultur pflegen, die nicht nur auf den Konsens aus, sondern auch konfliktbereit sei.

Karin Müller

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