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Jakobs Kampf mit dem Engel: Für Jakob beginnt ein neuer Tag

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01.01.2016
Zurzeit findet in der Fondation Beyeler in Basel eine Ausstellung zum Maler Odilon Redon statt. Der Impressionist beschäftigte sich auf besondere Art mit biblischen Gestalten. So auch mit dem Jakobskampf.

Odilon Redon beschreibt in einem Text mit Erinnerungen, wie ihn sein Vater oft auf die Wolken und die darin versteckten bizarren, versponnenen und wunderbaren Figuren aufmerksam gemacht habe. Und wie er später selber stundenlang den flüchtigen und zauberhaften Wesen am Himmel zuschaute und durch sie inspiriert wurde. Durch die Betrachtung der sichtbaren Natur zur Darstellung von Unsichtbarem zu gelangen, wurde Redons künstlerisches Programm.
Die meisten seiner Fantasiegestalten lassen sich mit Naturmotiven in Verbindung bringen: Pflanzen transformieren sich in menschliche Wesen, der Kopf einer Frauengestalt mit geschlossenen Augen wächst in den Himmel wie eine Kumuluswolke, oder der Mond wird zum Zifferblatt einer Uhr. Das Wechselspiel zwischen Naturbeobachtung und Imagination zeichnet Redons Malerei und Zeichenkunst aus. Den Künstler beschäftigten die Zufallsbilder, die, inspiriert durch einen Sehimpuls, vor dem inneren Auge erscheinen.

Christus und Buddha
Redons Interesse für das Imaginäre führte ihn dazu, sich auch mit mythologischen und religiösen Gestalten auseinanderzusetzen, unter ihnen Pandora, Ophelia, Apollon, Sphinxen, Zyklopen, aber auch Johannes, Maria, Sebastian, Buddha oder Christus. Zu dieser Gruppe gehört auch das Bild «Jakobs Kampf mit dem Engel», das zurzeit in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen ist. Ihm liegt die Geschichte aus dem ersten Testament zugrunde, die erzählt, wie Jakob, auf dem Weg zur Versöhnung mit seinem Bruder Esau, nachts mit einem Engel kämpft. Und wie er den Kampf erst aufgibt, nachdem der Engel ihn gesegnet hat. Ein riesiger dunkler Baum nimmt rechts die ganze Bildhöhe ein, ihm antwortet auf der linken Seite ein dünnerer Baum, der vom Bildrand angeschnitten ist. Die von den Bäumen ausgesparte Öffnung in der Mitte eine Art grosses offenes Tor gibt den Blick frei auf eine bergige Landschaft, die in ein helles, zartes Morgenlicht getaucht ist. In dieser Öffnung sind am unteren Bildrand die beiden Kämpfenden zu sehen. Jakob, nackt, stemmt sich gegen den Engel, rennt gegen ihn an, doch vermag er ihn nicht zu besiegen. Der Engel, mit einem durchsichtigen Gewand bekleidet, die hellen Flügel ausgebreitet, hält Jakob stand und berührt ihn sanft mit seiner linken Hand. Die zwei rot gefärbten Steine hinter Jakob weisen möglicherweise auf das Zerwürfnis mit seinem Bruder Esau hin. Das Rot bildet zusammen mit dem Gelb der Engelsflügel und dem Blau zu Füssen des göttlichen Kämpfers einen Farbendreiklang, der für das ganze Bild bestimmend ist, wobei in den Baumkronen das Rot in ein Violett changiert.

Einsamkeit
Die Naturszenerie des Bildes ist nicht einfach der Rahmen, in dem sich das biblische Ereignis abspielt, vielmehr interpretiert sie dieses.

Der Baum
steht bei Redon oft für die Empfindung von Einsamkeit. Jakob hat eine jahrelange einsame Flucht vor seinem Bruder hinter sich, die nun ein Ende finden soll. Doch vor dem Ende gibt es einen Kampf, wobei sich das Kräfteverhältnis der beiden Kämpfenden in der Dicke der beiden Bäume spiegelt. Dass das Ende gut ausgehen, dass es zur Versöhnung zwischen den beiden Brüdern kommen wird, darauf weist das helle Licht in der Bildmitte hin. Im Kampf findet ein Durchbruch statt. Für Jakob beginnt ein neuer Tag. 

Johannes Stückelberger, Kunsthistoriker

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