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«Die Missionare handelten aus der Überzeugung, dass Gott uns alle gleich geschaffen hat»

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01.01.2016
Im nächsten Jahr feiert mission 21 das 200-Jahr-Jubiläum. Mission sei nach wie vor aktuell, meint die Direktorin Claudia Bandixen und räumt mit Vorurteilen über die Missionare auf.

Frau Bandixen, 2015 feiert mission 21 ein grosses Jubiläum: Vor zweihundert Jahren wurde die Basler Mission gegründet. Ist Mission heute noch zeitgemäss?
Mission ist ein Begriff, den inzwischen viele brauchen. Politiker und CEOs erklären, wir haben eine Mission. Damit wollen sie sagen, dass sie ein klares Ziel und eine weiterführende Vision haben. Interessiert wird ihnen zugehört, ihre Aussagen werden wohlwollend aufgenommen. Wenn Christen von Mission reden, ist dies vielen verdächtig. Aber gerade wir haben eine Mission, haben Visionen, Hoffnungen und Werte, für dir wir einstehen. Warum sollen ausgerechnet wir uns keine Gedanken über unsere Mission machen dürfen und dazu stehen?

Was war das Anliegen der Gründungsväter der Basler Mission?
1815 wurde die Evangelische Missionsgesellschaft in Basel gegründet. Die Napoleonischen Kriege waren gerade zu Ende gegangen. In Europa herrschte grosse Armut. In dieser Situation erklärte Christian Friedrich Spittler, nicht nur das Elend vor der Tür, sondern auch die Not in der Welt müsse einen bewegen. Mission will die christliche Botschaft in die Welt tragen und das Elend in der Welt bekämpfen. Für die Gründungsväter war die Sklaverei, die Schwarze nach Übersee verkaufte, ein Skandal. Als Missionsbefehl wählten sie unter anderem auch die Bibelstelle «Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan». Aus heutiger Sicht klingt dieser Aufruf nach Kolonialismus und Ausbeutung. Doch die Missionare interpretierten diesen Text als göttlichen Befehl gegen die Sklaverei. Denn Gott spricht jedem Menschen das Recht auf Familie, auf Kinder und auf ein Stück Land zu. Den Sklaven war all dies verwehrt. Die Missionare verstanden die Bibel als Befreiungsgrundlage. Sie handelten aus der tiefen Überzeugung, dass Gott uns als Gleichwertige geschaffen hat.

Die Missionare kämpften gegen die Sklaverei. Gerieten sie damit nicht in Konflikt mit den Kolonialherren?
Ja. Oftmals machten sich die Missionare für die Einheimischen stark und es kam zu Konflikten. Auch in der jüngeren Geschichte. Im chinesisch-japanischen Krieg wurden Missionare ermordet, als sie sich für die Einheimischen einsetzten. In Südafrika wendete sich die Basler Mission entschieden gegen die Apartheid. Zu Zeiten der Pinochet-Diktatur in Chile entgingen Mitarbeiter der Mission mehrfach knapp dem Tod, als sie in den Slums von La Viktoria verletzte Streikende von der Strasse wegholten, bevor sie die Polizei inhaftiert oder ermordet hätte. Sie versteckten sie in den Hinterkämmerlein der Barackenkirchen und pflegten sie. Zurzeit sucht eine Mitarbeiterin für die gefährliche Kriegsregion im Südsudan nach Wegen, wie man den Menschen, die vom Hungertod bedroht sind, Lebensmittel zukommen lassen kann. Wir sind keine Märtyrer. Aber für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir mit unseren Partnern für die Grundwerte einstehen und solidarisch sind.

Mission hat heute trotzdem den Beigeschmack von westlichem Kulturimport und religiöser Indoktrination.
Natürlich machten auch Basler Missionare Fehler. Aber es hat sich in der Geschichte immer wieder erwiesen, dass Missionare engagiert und respektvoll mit der Sprache und Kultur der Einheimischen umgingen. Die Gepflogenheiten und Geschichte der Menschen, mit denen sie lebten, hielten sie oft schriftlich fest. Heute sind diese Dokumente für Kulturen ohne schriftliche Tradition wichtige Zeugnisse. Mission im protestantischen Sinn hat Respekt vor den anderen, fordert aber diesen Respekt auch für die eigenen Anliegen ein.

Die Mission, selbst wenn sie gut gemeint ist, bedroht lokale Kulturen und Traditionen.
Sie sprechen die Menschenrechte an. Die Diskussion wird auf Seiten der Frauen zurzeit vehement geführt. Dabei stellt sich die Frage: Ist etwa die sexuelle Verstümmelung von Frauen mit irgendetwas zu rechtfertigen? Oder dass Mädchen zwangsverheiratet und geschlagen werden? Oder dass man Menschen als Sklaven verkauft? Kulturelle Auswüchse, die gegen die Menschenrechte verstossen, sind abzulehnen und zu bekämpfen. Da gibt es nichts zu diskutieren. Da bin ich Missionarin, und mir ist es gleichgültig, ob man mich nun Christ schimpft. Jeder Mensch ist ein geliebtes Geschöpf Gottes und hat ein Recht auf Leben, Glück und Selbstbestimmung. Wenn dies missachtet wird, egal in welcher Religion und Kultur, müssen wir dies bekämpfen.

Mit dem Risiko, eine Kultur zu zerstören?
Vielleicht verändert sich eine Kultur dadurch, aber zu ihren Gunsten. Kulturelle Auswüchse, welche beispielsweise behaupten, ein Mensch sei wegen seines Geschlechtes oder seiner Herkunft minderwertig und habe keine Rechte, können wir als Christen nicht tolerieren. In dieser Hinsicht bin ich stolz auf unseren christlichen Glauben.

Das Motto des Jubiläums lautet «200 Jahre unverschämt viel Hoffnung». Warum dieser Slogan?
Weil das Evangelium mehr verheisst als wir erwarten dürfen. Wenn wir etwa vom Schalom reden, vom Weltfrieden, von Gerechtigkeit und Nahrung für alle, dann steht dahinter unverschämt viel Hoffnung. Diese Hoffnung ist keine Utopie, wie die Geschichte des Christentums und der Mission zeigt. 1815 versammelten sich einige Pietisten in Basel in einer Zeit voller Elend und erklärten, es sei für sie nicht gleichgültig, was in der Ferne geschieht. Auch heute zeigt die Mission, dass Christsein nicht vor der Haustür aufhört. Über Flüchtlinge, Einheimische, Menschen jeder Art und Herkunft zu sagen: Dies sind unsere Brüder und Schwestern, wird auch heute noch von vielen als «unverschämt» abgehoben angesehen. Wir aber stehen zu dieser Überzeugung.

Ist nicht die christliche Botschaft in diesem Sinne unverschämt?
Ja. Mit der Verkündigung des Reichs Gottes formuliert Jesus das Undenkbare und richtet sich gegen alle, die behaupten, das sei nicht realistisch.

Im Moment wachsen die Kirchen in Afrika, Asien und Südamerika. In der Schweiz verlieren sie mehr und mehr Mitglieder. Müsste misson 21 nicht vor Ort missionieren?
Die Mission ist für die Kirche zentral. Wir müssen verständlich zeigen, auch für religiöse «Analphabeten» in Europa, welche Lebenswerte das Christentum eröffnet. Und wir müssen darauf beharren, dass Christsein eine weltweite Bewegung ist: Sie ist Brücke von Kultur zu Kultur, von Sprache zu Sprache und von der eigenen Überzeugung zu fremden Gedanken. In einer Welt, die zusammenrückt, ist genau diese Kompetenz zunehmend wichtiger.

Da bietet die Mission mit ihrer globalen Sicht eine Chance.
Richtig. Ich glaube, dass die Kirchen durch die Mission viele Anregungen und Hoffnungen erhalten. Fast als «Todsünde» bei europäischen Kirchen erscheint mir ihre Mutlosigkeit. Da können wir viel lernen. Wenn wir mit unseren Partnern sprechen, die beispielsweise in Nigeria verfolgt werden und ständig damit rechnen müssen, ermordet zu werden, ermutigen gerade sie uns dazu, als Christen zu leben und unsere Gegner nicht zu hassen.

Interview: Tilmann Zuber

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Claudia Bandixen, Direktorin von mission21.

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