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Chronik eines selbstbestimmten Todes

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01.01.2016
Elisabeth Laube beendete ihr Leben mit Hilfe von Exit. Ihre Kinder erinnern sich.

Wir sitzen um den runden Tisch in der offenen Küche in einer Altbauwohnung in Luzern. Wir, das sind Peter Laube und Edith Lanfranconi-Laube, zwei von vier Kindern von Elisabeth und Bruno Laube, und der Journalist.
Das warme Licht der Herbstsonne fällt durch das Fenster. Die Finger umfassen die Kaffeetasse. Die andere Hand streicht über das rohe Holz, als versuchte sie etwas zu erfassen, dass sich nicht beschreiben lässt.
Genauso sass man vor 19 Jahren an diesem Tisch. Damals an einem Augusttag versammelte sich Familie Laube in der Küche zum Morgenessen. In Luzern gingen die Sommerferien zu Ende. Die Stimmung in der Küche war aufgeräumt. Die Mutter war guter Dinge. Sie bemühte sich, dass in der Familie keine Traurigkeit aufkam. Es sollte ihr letzter Tag in ihrem Leben sein. Auf den späten Vormittag hatte Elisabeth Laube den Sterbehelfer bestellt. Um 11 Uhr kam Rolf Sigg von Exit und brachte das tödliche Medikament. «Es war seltsam», erinnert sich Peter Laube. Unreal. «Wir versuchten, unsere Mutter in ihrem Weg zu unterstützen und wollten unseren Schmerz nicht zeigen.»
Über Monate hatte die Familie gehofft und gebangt, dass es doch besser werde. Anfänglich klagte die Mutter nur über ihre ständigen Kopfschmerzen. Als sie anfing zu schielen, meinte der Arzt, er könne dies mit einer Brille, die man mit einer Folie abdeckte, beheben. Erst später bemerkte man bei der Mutter die Geschwulst, die sich hinter dem Auge verbarg und auf den Sehnerv drückte. Den bösartigen Tumor konnte man nicht operieren.
Ihrem Mann zuliebe unterzog sich Elisabeth Laube einer Bestrahlung. Doch der Tumor kam zurück. In diesem Moment war klar, dass der Tod nur noch eine Frage der Zeit war.
Dann ging es sehr rasch, erzählt Tochter Edith Lanfranconi. So schnell, dass sie gar nicht dazu gekommen sei, mit ihrer Mutter über das Sterben zu sprechen. Zum Glück erlebte die Mutter noch die Geburt ihres vierten Enkels mit. Sie konnte den Kleinen in den Armen halten. Die Fotos von diesem glücklichen Augenblick bekam sie nicht mehr zu Gesicht.
Elisabeth Laube war im Vorstand von Exit. Die Protestantin stand hinter dem Anliegen der Sterbehilfeorganisation. Für sie war der freie Wille eines der höchsten Güter, erzählt Peter Laube. Doch trotz ihres Engagements hätte sie nie erwartet, die Hilfe von Exit für sich selber in Anspruch nehmen zu müssen.
In den letzten Jahren ihres Lebens wurde Elisabeth Laube immer gläubiger. Sie hatte sich schon immer in der Kirche engagiert. Zunächst als Katechetin, dann als Kirchenpflegerin und später als Präsidentin der ehemaligen Lukasgemeinde. Ihren Mann hatte sie in einer protestantischen Vereinigung kennengelernt. Mit ihrer Krankheit fing sie an, ihre Gedanken über das Sterben und das Leben in Gedichten festzuhalten, die nach ihrem Tode veröffentlicht wurden. In der Lyrik fand sie die Worte, um ihre Trauer, ihren Schmerz und ihr Loslassen zu fassen. Es sind zarte und doch starke Bilder, hinter denen ihr Drängen, in das göttliche Geheimnis hineinzugehen, aufschimmert.
Mit dem Fortschreiten des Krebses nahmen die Schmerzen ständig zu. Elisabeth Laube litt unter dem Wasser auf der Lunge. Sie bekam starke Medikamente. Durch das Morphium veränderte sich ihre Persönlichkeit. Das zu erleben, war für ihre Kinder besonders schlimm. Umso dankbarer waren sie, als die Mutter kurz vor ihrem Tod, die Schmerzmittel absetzte und wieder klar wurde. «Für die Einnahme des Giftes müssen die Patienten bei klarem Bewusstsein sein», erklärt Peter Laube.
Als Elisabeth Laube beschloss, mit Exit aus dem Leben zu scheiden und der Zeitpunkt ihres Todes feststand, wurde alles anders. Alles bekam den Charakter des Einmaligen und Endgültigen. Im März schenkte Edith Lanfranconi ihrer Mutter 68 Rosen zum Geburtstag. Sie wussten, es würde keine 69 Rosen mehr geben. Zeit zum Trauern blieb den Kindern wenig. Sie wollten in dieser Zeit stark sein, um ihre Mutter in ihrem schwierigen Entscheid und ihren Vater, der noch damit rang, zu unterstützen.

Schrecklich und zugleich wertvoll
Im Wohnzimmer hatte man für die Mutter ein Bett hergerichtet. Eine gute Flasche Wein wurde geöffnet und angestossen. Dann verabschiedete sich jeder einzelne von Elisabeth Laube, bevor sie das tödliche Medikament trank. Nach der Einnahme zog sich das Sterben unerträglich in die Länge. Die Mutter schlief auf dem Bett und atmete tief und schwer. Alle litten. Das Sterben ging nicht vorwärts. Die Atmosphäre war sehr intensiv: Man war sich nahe, auch ohne viel zu sprechen. «Es war als würde die Zeit stillstehen», erinnert sich die Tochter. «Die Aussenwelt war unendlich weit weg. Es gab nur die Mutter, die in diesem Augenblick in dieser Wohnung starb.»
Um 17 Uhr war es vorbei. Rolf Sigg rief die Polizei an. Die Beamten kamen, befragten die Anwesenden und liessen sich vom Sterbehelfer das Rezept des tödlichen Trankes zeigen. Dann bestellten die Polizisten das Bestattungsunternehmen, das die Mutter fortbrachte. Peter Laube, der jahrzehntelang mit seinen Eltern unter einem Dach gelebt hatte, empfand es als kalt und lieblos, wie rasch die Mutter fortgebracht wurde.
Für die beiden Geschwister war es richtig, dass ihre Mutter auf diese Art aus dem Leben schied. Für Elisabeth Laube sei es der Abschied in Würde und Selbstbestimmung gewesen, den sie sich gewünscht habe. Sich diesem Sterben auszusetzen war für Peter Laube ein schreckliches und gleichzeitig wertvolles Erlebnis, das er nicht missen will. Ihre Mutter sei davon überzeugt gewesen, erzählt Edith Lanfranconi, dass auf der Welt nichts verloren gehe. «Für mich ist dieser Gedanke ein schöner Trost», erzählt die Tochter.

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