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Kein Grund aufzuhören

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01.01.2016
Trotz ihren 75 Jahren will Ilse Brugger den Asylbewerbern an der Grenze das Gefühl vermitteln, dass sie willkommen sind.

Im Sommer feiert Ilse Brugger ihren 75. Geburtstag. Doch das Alter ist für sie kein Thema. Lieber erzählt sie, wie sie in den letzten drei Wochen in Bethlehem mitgeholfen hat, tausend Olivenbäume neu zu pflanzen. Das israelische Militär hatte den Olivenhain des Projekts «Zelt der Nationen» niedergewalzt. Für Ilse Brugger ist dies kein Grund aufzugeben. Sie setzt sich weiterhin für andere ein.
So wie sie es an der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz tut. Kurz vor dem Zollamt Otterbach stehen die Baracken des Ökumenischen Seelsorgedienstes für Asylsuchende OeSa. Einen Steinwurf entfernt vom Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundesamts für Migration und dem Ausschaffungsgefängnis. Hier im öden Niemandsland werden die Befragungen durchgeführt, Entscheide mitgeteilt und Rekurse abgelehnt.
Die OeSa ist das Arbeitsfeld von Ilse Brugger und vielen anderen Freiwilligen. Hier unterrichtet sie eritreischen und afghanischen Jugendlichen Deutsch und Französisch, hilft bei der Lehrstellensuche, dem Einstieg in die Gewerbeschule und vermittelt Kontakte. Sie informiert die Ankommenden über das Verfahren. Und sie nehme sich die Zeit für die Gespräche und höre zu, erklärt die 75-Jährige. «Es ist überaus wichtig, dass Menschen die vor und während der Flucht aus dem Heimatland viel Schlimmes erlebt haben, darüber reden und ihre Ängste und Sorgen mitteilen können.»

Suche nach Angehörigen
Viele Asylbewerber seien enttäuscht, dass sie nicht mit offenen Armen empfangen werden. Das Warten und die Unsicherheit mache ihnen zu schaffen. «In der schwierigen Situation möchte ich den Flüchtlingen das Gefühl geben, dass sie willkommen und akzeptiert sind», sagt Ilse Brugger.
Brugger kennt die Nöte der Flüchtlinge. Viele leiden unter Heimweh und der Trennung von der Familie. Wenn sich Angehörige auf der Flucht verloren haben, etwa weil die Schlepper die Männer von den Frauen und Kindern trennten, nimmt sie die Daten auf und übermittelt diese dem Schweizerischen Roten Kreuz. Vielleicht finden diese in ihrem Archiv Informationen über die Vermissten.
Seit zehn Jahren macht Ilse Brugger diese Arbeit. Würde sie nicht lieber wie ihre Altersgenossinnen auf einem Luxusdampfer durch die Karibik kreuzen? «Um Gottes Willen!», Ilse Brugger winkt lachend ab. Warum sie das tue? Vielleicht liege es daran, dass sie als Kind flüchten musste. In Breslau geboren, wurde die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben, während der Vater drei Jahre in Kriegsgefangenschaft sass. Später lebten sie in verschiedenen Gegenden in Westdeutschland. Auch da wurden sie als Flüchtlinge nicht gerne gesehen.
Die Schicksale der Asylbewerber machen Ilse Brugger betroffen. Etwa wenn eine junge Frau aus Afghanistan erzählt, dass sie eigentlich studieren wollte. Stattdessen wurde sie mit einem Taliban zwangsverheiratet, verprügelt, missbraucht und nach dessen Tod mit seinem jüngeren Bruder verheiratet. Mit ihrem Sohn gelang ihr die Flucht in die Schweiz.
Andere Geschichten an der Grenze enden mit einem Happy End. Wie beispielsweise jene eines Afghanen, der einst Spitzensport betrieb. Nachdem er im Krieg ein Bein verloren hatte, war dies nicht mehr möglich. Brugger vermittelte ihn dem Verband des Behindertensports. Mit der neuen Prothese kann er wieder Sport treiben. In ihrem Engagement erlebt Brugger eindrückliche Momente. Wenn die jungen Leute, die oft keine Mutter mehr haben oder diese vermissen, zu ihr «Mama» oder «Mam» sagen, berührt sie das.


Zum Bild: An der Grenze zu Deutschland: Ilse Brugger vom Ökumenischen Seelsorgedienst für Asylsuchende. | plüss

Tilmann Zuber

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