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Kapitän und Menschenfreund

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01.01.2016
Seit er vor rund 10 Jahren als Kapitän der «Cap Anamur» 37 Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet hatte und deswegen als Schlepper angeklagt worden war, setzt Stefan Schmidt sich für eine vernünftige Flüchtlingspolitik ein.

Eine Stunde zu früh trifft er bereits am Flughafen Zürich ein: Stefan Schmidt, einst Kapitän der «Cap Anamur» und heute Botschafter für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik in Europa die Schweiz eingeschlossen. Da sitzt im Café aber kein verbissen wirkender Streiter für die Rechte der Flüchtlinge, sondern ein sanftmütiger, aber in der Sache entschlossener ehemaliger Seebär mit lachenden Augen. «Ich lache gerne», sagt er von sich und man glaubt es ihm ohne Wenn und Aber.

Matrose als Traumberuf
Ein Schmunzeln entlockt einem schon allein die Geschichte, warum er mit 17 Jahren zur See fahren wollte. «Ich fand die Seemannslieder so schön und es gab ja so viele, sodass ich unbedingt Matrose werden wollte.» Nach einem Jahr der Ernüchterung hatte er sich mit der harten Realität an Bord abgefunden und machte seinen Weg. «Ich wollte bis zuoberst in der Karriereleiter steigen», sagt er selbstbewusst. Also Schiffskapitän, denkt man sich da als Laie. Die Wahrheit lautet aber Reedereiinspektor und Honorarkonsul von Tuvalu, dem drittkleinsten Staat der Welt. Dass Stefan Schmidt seine Arbeit für das unter britischer Krone stehende Land gut gemacht hat, bestätigte ihm Queen Elizabeth II. und nennt Schmidt einen weisen Mann.
Das war einmal, denn zur See fährt Stefan Schmidt schon lange nicht mehr. «Als ich eine Familie gründen wollte, habe ich mich auf Land beworben. Familie und zur See fahren, das geht für mich nicht zusammen.» Lübeck wurde für den in Stettin Geborenen zur neuen Heimat, der er bis zum heutigen Tage treu geblieben ist. Auf seine drei Söhne ist Schmidt stolz. Er ist überhaupt ein Menschenfreund. Er, der die ganze Welt gesehen hat, vom Nordkap bis zum Südpol. In Polynesien lebte und arbeitete Schmidt zwei Jahre. «Die Menschen sind mir und meiner Familie offen begegnet, sie suchten den Kontakt und waren interessiert.» Diese Einstellung vermisst Stefan Schmidt in Europa. Hier werde den Fremden in erster Linie Misstrauen entgegengebracht.

Zwei Monate lang in der Schweiz unterwegs
Weitsicht ist es, die Stefan Schmidt zu eigen und wichtig ist, nicht nur im übertragenen Sinn. «Ich war zwei Tage in Braunwald. Da wurde mir schon klar, dass ich nicht nur an Bergwände starren könnte. Ich brauche Weite.» Die findet er im flachen Norden mit dem weiten Himmel. Die Schweiz war ihm bis vor kurzem weitgehend unbekannt. Nun wurde und wird sie ihm für zwei Monate fast zur zweiten Heimat. So weilte er im März im Zürcher Umland und hielt Vorträge. Vom 31. März bis zum 5. April wird er in Basel und Baselland im Rahmen der «Brot für alle»-Kampagne zu Gast sein, ebenso am 15. April, wenn Sterneköchin Tanja Grandits in die Offene Kirche Elisabethen lädt.
Das Thema ist gegeben. Seit Stefan Schmidt als Kapitän der «Cap Anamur» die 37 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat, ist er Verfechter einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik. Dafür bereist er Europa, um die Menschen für seine Botschaft zu sensibilisieren. «Schafft das Dublin-Abkommen ab», lautet die klare Botschaft. Dieses besagt, dass Flüchtlinge nur dort Asyl beantragen können, wo sie Europa betreten. Für die Schweiz wären das nur Flüchtlinge, die per Flugzeug ins Land kommen. Alle andern kann die Schweiz in eines der umliegenden EU-Länder abschieben.
Stefan Schmidt plädiert für Kontingente, die aufgrund der Einwohnerzahl eines Landes und dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit festgelegt würden. «Die Flüchtlinge würden nach diesem Koeffizienten auf die Länder verteilt.» Das sei indes der zweite Teil der Flüchtlingspolitik. «In erster Linie gilt es, die Lebenssituation der Menschen in ihren Heimatländern so zu verbessern, dass sie erst gar nicht flüchten müssen.» Schmidt zieht einen Vergleich mit dem Marshallplan, dank dem Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine kam. Hilfe zur Selbsthilfe war auch der Sinn der «Cap Anamur»-Mission. «Wir wollten die Menschen vor Ort unterstützen.»

«Die schwierigste Aufgabe meines Lebens»
Dass auch Kontingente Probleme mit sich bringen können, erlebte Stefan Schmidt schmerzlich am eigenen Leib. «In Schleswig-Holstein, wo ich als ehrenamtlicher Flüchtlingsbeauftragter des Landtages amtiere, kam mir mit dem Innenministerium und anderen die Aufgabe zu, aus 6000 angemeldeten Flüchtlingen 118 pro Jahr zu bestimmen, die in meinem Bundesland aufgenommen werden können. Das war die schwierigste Aufgabe meines Lebens.» Mit dem Hilfswerk «borderline-europe Menschenrechte ohne Grenzen» möchte Gründungsmitglied Schmidt Informationen sammeln und weitergeben. «Es ist wichtig, stets über die aktuelle Lage Bescheid zu wissen. Wir sind mittlerweile in ganz Europa gut vernetzt und erhalten aus erster Hand Lageberichte zum Beispiel aus Sizilien, der Türkei, Österreich und Griechenland.»
Der Flüchtlingsbotschafter gibt die neusten Informationen in seinen Vorträgen weiter. In der Schweiz geschieht das vor allem in Kirchgemeinden. Stefan Schmidt pflegt indes ein kritisches Verhältnis zu den Kirchen. «Ich bin kein regelmässiger Kirchgänger, aber ein Fan von Jesus.» Man versteht, weshalb Stefan Schmidt ein Mensch ist, der ohne Vorbehalte und offen auf andere zugeht, ein Menschenfreund.



Vortragsabende mit Stefan Schmidt:
> Montag, 30. März, 20 Uhr, Kirchgemeindehaus, St. Jakobstrasse 1, Pratteln;
> Dienstag, 31. März, 1415 Uhr, Spalenkeller, Missionsstrasse 21, Basel;
> Mittwoch, 1. April, 20 Uhr, ref. Kirchgemeindehaus Arlesheim, Stollenrain 20a, Arlesheim
Gottesdienste mit Stefan Schmidt:
> Donnerstag, 2. April, 19 Uhr, Pfarrei- und Begegnungszentrum Dreikönig, grosser Saal, Mühlemattstrasse 2, Füllinsdorf;
> Karfreitag, 3. April, 10 Uhr, Theodorskirche, Basel


Zum Bild: Die Rettung von Flüchtlingen brachte Kapitän Stefan Schmidt eine Anklage als Schlepper ein: Hier erwartet er am 7. Oktober 2009 das Urteil vor dem Gericht in Agrigent. | reuters

Franz Osswald

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Links:
Veranstaltungen mit Kapitän Stefan Schmidt: http://refbl.ch/refbl/veranstaltungen/

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