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«Frauen sind nicht am Wegbleiben der Männer Schuld»

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01.01.2016
178 Theologinnen und Theologen haben sich in einem offenen Brief gegen Gottfried Lochers Aussage gewehrt, die Männer blieben einer «feminisierten» Kirche fern. Mitunterzeichnerin Pfarrerin Heidi Müller aus Luzern macht andere Erfahrungen.

Bei der Gleichstellung von Frauen und Männern hat die evangelische Kirche noch Nachholbedarf. Dies ergibt sich aus dem Gleichstellungsatlas, der zum internationalen Frauentag am 8. März in Hannover vorgestellt wurde. Danach sind Frauen in den Ehrenämtern von Kirche und Diakonie überrepräsentiert, hingegen in Leitungsgremien kaum vertreten. Was für Deutschland gilt, ist mit ähnlichen Zahlen auch auf die Schweiz übertragbar.
Dennoch flammt die Diskussion über zu viele oder zu wenige Frauen immer wieder auf. Erst vor kurzem beklagte Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK, in der «Weltwoche» die «Feminisierung» in den Kirchen. Im von Roger Köppel verfassten Porträt über Locher steht: «Unbehagen bereitet ihm die Feminisierung in den Kirchen. Er habe nichts gegen Pfarrerinnen, aber wenn nur noch Frauen predigen, ändere sich alles, die Themen, die Bilder, die Formulierungen, und die Männer kommen irgendwann nicht mehr», wird Locher zitiert.

Protest gegen einseitige Sicht
Dagegen protestierten in einem offenen Brief 178 Theologinnen und Theologen, aus der ganzen Schweiz. «Die Pfarrerinnen für ein allfälliges Wegbleiben von Männern in den Kirchen verantwortlich zu machen, erachten wir als ungerechtfertigt und deutlich zu kurz gegriffen», schreiben die Pfarrerinnen und Pfarrer. Sie wehren sich dagegen, «Männer gegen Frauen auszuspielen, wie dies durch den Begriff der Feminisierung geschieht».
Auch Heidi Müller, Pfarrerin an der Luzerner Lukaskirche, unterzeichnete den Brief. «Wie kann man bei einem Frauenanteil von einem Drittel bei den Pfarrpersonen von einer Feminisierung der Kirche sprechen?», wundert sie sich. Ein allgemeines Phänomen, der Besucherrückgang bei den klassischen Sonntagsgottesdiensten, könne nicht den Pfarrerinnen angelastet werden. Die fehlende Wertschätzung seitens des SEK-Vorsitzenden, die sich in diesen Aussagen ausdrücke, habe sie sehr geschmerzt. Zumal die Erfahrungen, die sie bei ihrer täglichen Arbeit mache, ganz andere seien.
An der Lukaskirche ist zurzeit ein reines Frauenteam, drei Pfarrerinnen und eine Sozialdiakonin, im Einsatz. «Zu Zeiten als noch ein Pfarrer mit im Team war, kamen auch nicht mehr Männer in die Kirche als heute», berichtet Heidi Müller. «Ausserdem schauen die Menschen bei der Wahl eines Seelsorgers doch darauf, ob es menschlich passt. Sie wählen die Person und nicht das Geschlecht.» Bestimmte Angebote, wie die «Zeit der Stille», ein Meditationsangebot morgens vor Bürobeginn, werden sogar hauptsächlich von Männern genutzt.

Zahlen sprechen andere Sprache
Die Wahrnehmung, dass es mehr Frauen im Pfarramt gebe als Männer, steht als «gefühlte Feminisierung» in einem Widerspruch zur prozentualen Realität. Schweizweit beträgt der Frauenanteil unter den Pfarrpersonen 35 Prozent. Etwa gleiche Zahlen gelten für den Kanton Luzern. Was kirchliche Leitungsämter angeht, bilden weiterhin Männer eine Mehrheit. In der Deutschschweiz gibt es zurzeit gerade drei Kirchenratspräsidentinnen, und dies nur in den kleinen Kantonen Obwalden, Solothurn und Uri.
Mittlerweile fanden zwei Treffen einer Delegation von Unterzeichnerinnen und Gottfried Locher statt. Es habe ein «konstruktiver Austausch» stattgefunden, heisst es in einer Mitteilung über das zweite Treffen im Februar. Eingehend behandelt wurden dabei die Gleichstellungspolitik und das Engagement von Frauen und Männern im Leben der Kirchgemeinde und in Leitungspositionen. Die Beteiligten einigten sich bereits in einem ersten Gespräch auf acht Themen, vier davon sollen bereits in diesem Jahr behandelt werden. Eines der Themen, das vorrangig behandelt wird, ist das Label «UND» zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So will der Kirchenbund seinen Mitgliedkirchen empfehlen, das Label der Stiftung «UND» zu erwerben, erklärt SEK-Kommunikationsbeauftragte Anne Durrer.


Zum Bild: Junge Pfarrerinnen: In der Schweiz beträgt der Anteil von Frauen im Pfarramt 35 Prozent. | epd-Bild

Annette Meyer zu Bargholz

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