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Die digitale Reformation

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01.01.2016
Das Web hat inzwischen die Religionslandschaft erobert. Kaum eine Kirche und Gemeinschaft verfügt nicht über ihren eigenen Web-Auftritt. Und die Internetseelsorge droht den Beichtstuhl abzulösen. Doch die digitale Kirche stösst auch an ihre Grenzen.

Von einer solchen Quote hätte Jesus geträumt: Wenn Abt Martin Werlen sprach, folgten ihm 9300 Personen. In kurzer Zeit twitterte der Geistliche über 5600 Kurzmeldungen. Inzwischen sind diese in Buchform erschienen. Das Beispiel des twitternden Abtes zeigt: Wenn heute die Kirche mit ihren Mitgliedern kommuniziert, kommt sie um die Sozialen Medien nicht herum.
Das Internet hat die religiöse Landschaft erobert. Kaum eine Religionsgemeinschaft, Kirche, Gemeinde oder ein esoterischer Zirkel verzichtet heute auf einen Auftritt im Internet. Online lassen sich Kirchen betreten, Anliegen an Gebetswände pinnen, virtuelle Kerzen anzünden und Predigten gar auf Video verfolgen. Dies während 24 Stunden, ohne dass man einen Fuss aus dem Haus setzen muss. Spirituell findet man das entsprechende Manna im Netz: Virtuell öffnet sich inzwischen selbst die eine oder andere Klosterpforte. Die Schwestern des Sarner Benedektinerklosters etwa nehmen auf ihrem Portal Gebetsanliegen auf. (www.frauenkloster-sarnen.ch)
«Wenn die Kirche nicht in Online investiert, wird sie schlicht nicht gefunden», erklärt Matthias Böhni, Leiter Online der «Reformierten Medien». Seit 15 Jahren engagieren sich die «Reformierten Medien» im Netz. Rund 70 000 Mal wird ihre Seite ref.ch im Monat aufgerufen. Auf Facebook verzeichnet ref.ch 1300 Liker. Das sei nicht viel, räumt Matthias Böhni ein. Doch sei sie praktisch die einzige Facebook-Plattform der reformierten Kirche, auf der regelmässig kontrovers und vielfältig diskutiert werde.
In den letzten zwanzig Jahren hat das Internet die Gesellschaft verändert. «Auch die Kirche», stellt Matthias Böhni fest. Anfänglich gab es nur einzelne kirchliche Websites. Heute werde es für eine Kirchgemeinde ohne Online-Auftritt schwierig.
Viele vergleichen die digitale Revolution mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Auch damals veränderte die massenhafte Produktion der Bibel in der Volkssprache die Kirche und Gesellschaft. Laut dem protestantischen Theologen Bernd-Michael Haese sei es heute zumindest teilweise so. Insbesondere die «gesteigerte Pluralität» im Netz markiere einen Epochenwandel, erklärt er in der «Zeit». Sorgen macht sich Haese über das Niveau auf den Webseiten. Es drohe ein «Substanzverlust». Deshalb seien vermehrt die Inhalte professioneller Theologen in der Diskussion nötig.
Matthias Böhni erkennt auch die Grenzen des Webs. «Die Sozialen Medien werden den Gottesdienst nicht ablösen», ist er überzeugt. Die physische Präsenz ist eine andere als die virtuelle. Kirche geschehe, wenn sich zwei oder drei in Seinem Namen versammeln, zitiert er die Bibel. Das geschehe am besten am Tisch.

Stellenbörse und Wunder
Auch in der Schweiz verfügen die Kirchen über einen Internetauftritt. Gut helvetisch sind jene der Volkskirchen etwas nüchtern und amtlich. Vielerorts haben ihre Beiträge schon Staub angesetzt. Wer die neuesten Nachrichten aus der christlichen Welt erfahren möchte, kann sich bei ref.ch oder kath.ch einklicken. Neben bloggenden Geistlichen gibt es dort das jüngste «Wort zum Sonntag», Filmtipps, Stelleninserate, Informationen über Religion und Kirche. Livenet.ch oder jesus.ch informiert aus freikirchlicher Sicht. Entsprechend finden sich dort Zeugnisse von Bekehrungen und Wundern bis hin zu Lebensberatung.
Die meisten Hilfswerke verfügen inzwischen über eigene Seiten, die einen guten Einblick in ihre Projektarbeit geben. Beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz Heks und Mission 21 berichten Mitarbeiter quasi live aus den Einsatzgebieten und Kriegsgebieten. Mission 21 hat das Bildarchiv der Basler Mission unter www.bmpix.org weltweit zugänglich gemacht. Seit 1860 waren die Missionare mit Fotokamera und Stativ in den Kolonien unterwegs und dokumentierten das Leben der Einheimischen und der Weissen. Entstanden sind unschätzbare Aufnahmen aus einer vergangenen Epoche. Rund 28 000 historische Aufnahmen umfasst die Sammlung. Die historischen Fotos helfen heute den Staaten in Afrika und Asien, ihre Geschichte zu erschliessen.
Wer nach bestimmten Kirchen und Religionsgemeinschaften sucht, wird unter inforel.ch und relinfo.ch. fündig.

Anonym und diskret
Was in der Vergangenheit der Beichtstuhl war, ist heute die Internetseelsorge. Seit mehr als zwanzig Jahren finden Rat- und Trostsuchende unter www.seelsorge.net die Möglichkeit, ihre schwierige Lebenssituation und Probleme zu schildern. Einen Mausklick später erhalten sie per E-Mail eine Antwort.
Pionier in Sachen Internetseelsorge war Jakob Vetsch. 1995 rief der damalige Pfarrer von Azmoos als weltweit Erster ein solches Angebot ins Leben. War Vetsch in den Gründerzeiten noch ein belächelter Einzelkämpfer, so erteilen heute rund dreissig Seelsorgerinnen und Seelsorger per Tastatur Ratschläge.
Rund 550 000 Besucher zählte die Web-Seelsorge im vorletzten Jahr. 2013 verzeichnete sie rund 1200 Erstanfragen. Inzwischen wurde das Angebot um die SMS-Seelsorge erweitert. In den Anfangsjahren waren es zu sechzig Prozent Männer, die via Computer Hilfe suchten. Heute sind es mehrheitlich Frauen.
Auch im Bezug auf die Religionsgräben leistet die Internetseelsorge Pionierarbeit. In der virtuellen Welt ist es egal, welches Taufbüchlein man mitbringt. Die Religionszugehörigkeit spielt im Web keine Rolle. Im Netz arbeitet man ökumenisch zusammen. Das Angebot ist anonym und gratis.

Tilmann Zuber

Links:
www.frauenkloster-sarnen.chref.chwww.bmpix.orginforel.chrelinfo.chwww.seelsorge.net

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