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Zu klein zum Leben, zu gross zum Sterben

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01.01.2016
Kleine Kirchgemeinden stossen an ihre Grenzen: Geeignete Behördenmitglieder sind rar und Pfarrpersonen lassen sich nur schwer für kleine Teilzeitstellen begeistern. Als Modell für die Zukunft bieten sich Fusionen an. Vier Kirchgemeinden im Thurgau machen vor, wies geht.

Eine halbe Autostunde von Konstanz liegt im Thurgau die Evangelische Kirchgemeinde Leutmerken. Nicht einmal 250 Mitglieder zählt sie. Jene im wenige Minuten entfernten Lustdorf nur knapp über 300. Immer wieder stossen die beiden Gemeinden an ihre Grenzen: «Es ist nicht nur eine riesige Herausforderung, geeignete Behördenmitglieder zu finden. Es wird zunehmend auch schwieriger, Pfarrpersonen für die Konstellation mit zwei 40-Prozent-Stellen zu begeistern», erklärt Peter Krattiger. Der Präsident der Evangelischen Kirchgemeinde Leutmerken suchte deshalb vor drei Jahren das Gespräch mit den Verantwortlichen der Kirchgemeinde Lustdorf. Resultat war das Komitee «Zukunft Kirche», in dem man sich intensiv mit neuen Wegen beschäftigte. Dabei wurden auch die Nachbargemeinden Bussnang und Thundorf-Kirchberg einbezogen.
So wie den vier Kleingemeinden im Thurgau geht es vielen in der Schweiz: Sie sind zu klein zum Leben, aber zu gross zum Sterben. Um konkrete Zukunftsmodelle zu erarbeiten, wandte sich das Komitee an den Gemeindebauberater Daniel Frischknecht. Für ihn ist klar, worin der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit liegt: «Wir haben die Kirchbürgerinnen und -bürger von Anfang an in den Prozess einbezogen und mit ihnen die verschiedenen Varianten diskutiert.» Als breit abgestützt kristallisierte sich jene Vorlage heraus, die nun am 11. Juni zur Abstimmung kam. Sie wurde von allen vier Kirchbürgerschaften mit grossem Mehr zum Teil sogar einstimmig angenommen. Sie sieht vor, dass die Kirchgemeinden Bussnang und Leutmerken zur neuen Evangelischen Kirchgemeinde Bussnang-Leutmerken fusionieren und sich Lustdorf und Thundorf-Kirchberg zur Evangelischen Kirchgemeinde Thunbachtal zusammenschliessen. Am 1. Januar 2016 treten die beiden neuen Körperschaften in Kraft.

Mitgliederzahlen schwinden
Abstimmungen wie jene in den vier Thurgauer Kirchgemeinden wird es in Zukunft häufiger geben, ist Charles Landert überzeugt. Der Frauenfelder Sozialforscher berät Kirchgemeinden bei Fusionen. So hat er auch am geplanten Zusammenschluss der 33 Stadtzürcher Kirchgemeinden mitgewirkt. Für Landert ist klar: «Eine Fusion ist für viele Kirchgemeinden aus ökonomischen und organisatorischen Gründen schlicht unumgänglich.» Grund dafür sei die gesellschaftliche Entwicklung. So rechnet der Experte damit, dass die reformierte Kirche innerhalb der nächsten 20 Jahre einen Drittel ihrer Mitglieder verlieren wird. «Die Gemeinden müssen sich deshalb mit den Fragen auseinandersetzen: Was heisst dies in Bezug auf die verfügbaren Mittel? Was in Bezug auf die Gebietsgrösse? Und vor allem: Welche Kirchgemeinde wollen wir sein, was werden wir aufgeben müssen, was bleibt uns wichtig?»
Eine Fusion kann dabei die Möglichkeit bieten, die Funktionen der alten Kirchgemeinden aufrecht zu erhalten und Synergien zu nutzen. Charles Landert ist sich bewusst, dass Zusammenschlüsse herausfordernd sein können: «Die Kirchgemeinden stehen vor der Aufgabe, angemessen auf die soziale Vielfalt innerhalb ihres Gebiets zu reagieren und Mitglieder sowie Mitarbeiter von der Aufhebung der alten Grenzen zu überzeugen.» Der Fusionsprozess der vier Thurgauer Kirchgemeinden könnte dabei als Vorbild dienen.

Gegenseitig profitieren
Die Vertreter der Kirchgemeinden sind von den geplanten Strukturänderungen überzeugt: «Aus der Neubildung können vorhandene Ressourcen neu aufgeteilt und genutzt werden», sagt der Pfleger und Aktuar der Evangelischen Kirchgemeinde Leutmerken, Peter Egli. Stefanie Stucker, Kirchvorsteherin aus Bussnang, sieht insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit grosses Potenzial, das Angebot auszuweiten. Aus den Kirchgemeinden Lustdorf und Thundorf-Kirchberg sind ähnliche Töne zu hören. Die Gemeinden könnten durch die Zusammenarbeit ihre Kräfte bündeln und Neues wagen, bemerkt Peter Kuster, pensionierter Pfarrer und Synodaler der Evangelischen Kirchgemeinde Lustdorf. «Es muss beispielsweise nicht mehr jeder Pfarrer alles machen.» Die Thundorfer Kirchvorsteherin Denise Kirchmeier bringt den Begriff «Synergien» ins Spiel.
Der Fusionsprozess wurde nicht nur nahe an der Kirchbürgerschaft entwickelt, sondern von Anfang an auch mit der Evangelischen Landeskirche Thurgau abgesprochen. In einer Stellungnahme schreibt Kirchenratspräsident Wilfried Bührer, er begrüsse ausdrücklich, dass die Kirchgemeinden die Zukunftsfragen offen angehen. «Für den Kirchenrat ist das Wichtigste, dass das kirchliche Leben sich entfalten kann; die Strukturen sind grundsätzlich veränderbar.»


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Zum Bild: Breiteres Angebot dank Zusammenarbeit: Nach der erfolgreichen Abstimmung gehen aus den vier Thurgauer Kirchgemeinden Thundorf-Kirchberg, Bussnang, Leutmerken und Lustdorf (im Bild die Kirchen von links nach rechts) zwei neue Kirchgemeinden hervor.
ZVg

Cyrill Rüegger / Roman Salzmann / kirchenbote-online.ch / 12. Juni 2015

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