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Pilgern: Aufbruch zu sich selber

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01.01.2016
Mehr und mehr Zeitgenossen entdecken das Pilgern und machen sich auf nach Santiago de Compostela. Man kann auch auf anderen Wegen Spirituelles erfahren und erleben, wie der Kopf für das Wesentliche frei wird, meint die Pilgerbegleiterin Kerstin Bonk.

Caspar David Friedrich liebte das langsame Reisen. Wenn der Maler zu den Kreidefelsen nach Rügen aufbrach, setzte er gemächlich mit dem Segelboot auf die Insel über und wanderte dann zu Fuss weiter. Achtsam näherte sich der Maler der Romantik seinen Motiven in der Natur. Die Fahrt in der Kutsche war ihm zu hektisch.
Auch Kerstin Bonk stammt aus dem hohen Norden Deutschlands an der Grenze zu den Niederlanden und liebt die Langsamkeit. Wenn sie sich in der Freizeit bewegt, dann meist zu Fuss. Vor bald fünf Jahren hat die 48-Jährige das Pilgern entdeckt. Pilgern sei Entschleunigung, erklärt die Pfarrerin aus Reigoldswil BL. «Ich reduziere das Tempo, löse mich aus der Hektik und dem Leistungsdruck, werde achtsam, gehe bewusst Schritt für Schritt.» So finde man seinen eigenen Rhythmus und übe sich in Gottvertrauen.
Wenn sich Kerstin Bonk auf den Weg macht, folgt sie nicht nur der klassischen Route nach Santiago de Compostela. Das Pilgern in Massen, wie es in Spanien stattfindet, hat sie noch nicht ausprobiert. Sie sucht sich lieber weniger bekannte Wege aus und pilgert in der kleinen Gruppe. Einmal wanderte sie während 16 Tagen auf dem Pilgerweg von Marburg nach Assisi von Friedrichshafen nach Tirano. Ein anderes Mal ging es durch den Pfälzer Wald. Dann wieder auf dem Schweizer Jakobsweg von Rorschach nach Fribourg. Über Pfingsten traf man Bonk mit Mitgliedern ihrer Gemeinde auf dem Basler Zubringerweg zum Jakobsweg an. Es ging von Murten nach Lucens. Von dort soll es weiter über Lausanne nach Genf gehen. Kerstin Bonk ist eine Kurzzeitpilgerin. Nach ein bis sechs Tagen kehrt sie jeweils heim. Das geht nicht anders. Zu Hause warteten zwei Teenager, der Ehemann und das Pfarramt, lacht sie.

Die Landschaft wird zur Metapher
Vor ein paar Jahren absolvierte Kerstin Bonk die Ausbildung als Pilgerbegleiterin, um ihrer Kirchgemeinde solche Reisen anzubieten. Als Pilgerbegleiterin gibt sie unterwegs spirituelle Impulse. «Ich muss wissen, wann es für die Gruppe Zeit ist, zu schweigen, wo es sich anbietet, ein Lied anzustimmen oder einen Psalmvers vorzulesen, der Symbole und Bilder aus der Umgebung aufgreift.»
Solche eindrückliche Metaphern finden sich in der Natur zuhauf. Man müsse sie nur wahrnehmen, erzählt die Pfarrerin. Das fange schon beim Packen des Rucksacks an, wenn man sich frage, was man wirklich brauche. «Plötzlich erkennt man, wie viel unnötigen Ballast man herumschleppt.» Und beim Gehen erlebe man, wie die Seele und der Geist in Gang kommen und man im Kopf frei werde für das Wesentliche.
Als Kerstin Bonk mit anderen schweigend von Mariastein auf den Challpass pilgerte und darüber meditierte, wo im Leben Licht und Schatten herrschten, wurde die Natur im Glanz der aufgehenden Sonne zum eindrücklichen Gleichnis. In den Morgenstrahlen erlebte die Gruppe plötzlich die tiefe Dimension des afrikanischen Sprichwortes «Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich». Auf der Höhe angekommen, stimmten die Pilger das Taizé-Lied «Christus, dein Licht» an. «Solche Momente sind sehr intensiv. Da war der anstrengende Aufstieg am frühen Morgen, das Gehen Richtung Osten, das Licht- und Schattenspiel im Wald», erzählt sie. Die Begeisterung schwingt mit.
Das Pilgern hat Kerstin Bonks Leben und Glauben bereichert und geerdet. «Der Glaube wird vom Kopf auf die Füsse gestellt», sagt sie. Beim Pilgern komme sie zu sich und bleibe gleichzeitig nicht stehen. «Ich gehe aus mir und meinem Alltag heraus und gewinne durch die Erfahrung des Weges neue Sichtweisen für mein Leben und meinen Glauben.» Dabei werde der Weg und das Unterwegssein zum Bild für das Menschsein überhaupt. «Wir haben hier auf der Erde keine bleibende Stadt.»

Tilmann Zuber

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