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Mit vereinter Kraft für Flüchtlinge

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01.01.2016
Interreligiöses Teamwork macht es möglich. Junge Christen und Muslime organisieren innerhalb der Aktion «72 Stunden» ein Fest für die Flüchtlinge im Asylzentrum Juch.

Grün ist es in Grünau vor allem rund um das Gemeinschaftszentrum Grünau in Zürich. Rund um den Waschbetonbau wachsen Büsche und Bäume ein kleines Idyll eingezwängt zwischen Hochhäusern. An diesem Sonntagnachmittag herrscht ein besonderes Treiben rund um das Quartierzentrum vor. An Tischen und Büschen baumeln Ballons. Kinder mit bemalten Katzengesichtern lassen in den fönblauen Himmel Seifenblasen steigen, fröhlich quatschend sitzen Afghanen und Eritreer, Iraker und Iraner nebeneinander, vor sich ein Kartonteller mit köstlichen orientalischen Leckereien. Asylbewerber feiern ein Fest, organisiert vom «Forum junge Christen und Muslime» der Universität Zürich.

Alles freiwillig und ohne Geld

Der Event fand im Rahmen der Aktion «72-Stunden» statt, die am Sonntag endete. Das heisst: Innerhalb von drei Tagen ohne Geld mit reiner Freiwilligenarbeit einen gemeinnützigen Anlass auf die Beine zu stellen. Dies war ganz nach dem Geschmack des interreligiösen Forums. Ein Hindernis musste aber zu Beginn aus dem Weg geräumt werden: Die Aktion richtet sich eigentlich an Kinder und Jugendliche. Aber genau diese Idee, etwas mit blosser Freiwilligenarbeit und ohne Geld in 72 Stunden zu realisieren, faszinierte die interreligiösen Studierenden.

Keine leichte Aufgabe in 72 Stunden für Asylbewerber und Quartierbewohner ein Fest auf die Beine zu stellen. Ein orientalischer Spezialitäten-Markt spendete die Lebensmittel, ein Schreiner stellte seine Arbeitsräume als Lager und Basis zur Verfügung, und viele Freunde und Bekannte der Aktivisten backten Kuchen.

Als es darum ging, noch Papiertischdecken, Plastikbesteck und Kartonteller zu organisieren, stellten sich die Helfer vor die Migros im Quartier und baten die Menschen um Sachspenden. «Wir waren überrascht, wie grosszügig sich die Menschen zeigten», sagt Anna Degen. Sie hat 2012 den Gesprächskreis für junge Christen und Muslime ins Leben gerufen. «Dem Forum ist es wichtig, nicht nur auf einer abgehobenen Ebene den interreligiösen Dialog zu führen», erklärt die junge Lehrerin. Gerade konkrete Begegnungen zwischen Religionsgemeinschaften zu organisieren, sei das Hauptziel des Forums.

Der Muslim Burim Luzha ergänzt, dass die vielen Freiwilligen nicht im Bilde waren, was für eine Aktion stattfinden sollte: «Wir haben Ihnen nur gesagt: Wir machen eine Aktion im Asylzentrum.» Viele der dreissig Helferinnen und Helfer haben schon seit Donnerstag täglich das Asylzentrum aufgesucht, um mit den Kindern dort zu spielen, um zu zeichnen, und sich auch mit den Erwachsenen zu unterhalten. Denn das war die Idee: Die Schwelle sollte möglichst niedrig sein, damit die Leute oft erst wenige Tage in der Schweiz auch den Mut aufbrachten, das Fest zu besuchen. Über zweihundert Besucher sind es dann gewesen, die gekommen sind. «Wir waren über den grossen Andrang selber etwas überrascht. Mit so vielen Menschen haben wir nicht gerechnet», sagt Anna Degen.

Natürlich: Es ist ein Anlass, organisiert von einer Gruppe, in deren Leben Religion einen zentralen Platz einnimmt. Das hat auch einen iranischen Flüchtling mobilisiert. Als Atheist wollte er mit einem auf einer Kunststofftafel notierten Spruch provozieren: «Alle Religionen sind falsch». Um ihn herum hatte sich eine Gruppe von muslimischen Männern gebildet. Sie rezitierten im Sprechgesang Koranverse. Aber die Stimmung war nicht aggressiv. Es wurde gescherzt und gelacht.

Die Religionen zeigten an diesem sonnenbestrahlten Tag ein tolerantes Gesicht. Christliche und muslimische Helferinnen und Helfer arbeiteten zusammen in der Küche, organisierten Spiele, fotografierten und bemalten Kindergesichter.

Die dunkle Seite der Religion

Dass Gott oft als ein Codewort für Hass missbraucht wird, weiss Filiz Cagli nur zu gut. Sie ist einst aus Bosnien in die Schweiz gekommen und wehrt sich gegen alle religiösen Schubladisierungen und Stereotypen. Religion war einer der Gründe, der Anfang der Neunzigerjahre in ihrer Heimat zu einem explosiven Gemisch führte und schliesslich in einen blutigen Bürgerkrieg mündete. «Wir sollten einfach daran festhalten: Mensch ist Mensch», sagt die Frau, die selbst im Quartier wohnt. Ihr Sohn Davin sagt: «Wenn mich jemand nach der Religion fragt, habe ich es aufgegeben zu sagen: Ich bin Alevit.»

Filiz Cagli ist zusammen mit ihren beiden Söhnen eine der wenigen Quartierbewohner, die sich ins Gemeinschaftszentrum hineingetraut haben. «Das ist eigentlich schade», sagt sie. Aber die Stimmung im Quartier ist ihrer Meinung nach gut. Spannungen zwischen Asylbewerbern und Quartierbewohnern seien kaum auszumachen. «Einige wenige machen rassistische Sprüche. Aber das ist wahrscheinlich überall so», sagt die Bosnierin.

Wertschätzung für Flüchtlinge
Insgesamt zeigt sich an diesem Nachmittag vor allem eines: Die Motivation des Forums, den Flüchtlingen gegenüber Wertschätzung zu zeigen, ist voll aufgegangen. Und auch das Einüben in ein tolerantes Miteinander hat geklappt. Schwarze und Weisse, oder von der Nationalität her verfeindete Menschen schwatzten, spielten und assen zusammen. «Auch bei uns innerhalb des Teams war es spannend, das Gemeinsame und Trennende auszuloten», sagt Anna Degen. Ob nun die Kuchen mit oder ohne Alkohol gebacken werden dürfen, ob Musik gespielt wird oder nicht, das waren interreligiöse Organisationsfragen, die alle in gemeinschaftlichem Gespräch gelöst wurden.


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Zum Bild:72-Stunden-Helfer (Mitte) mit zwei Bewohnern des Asylzentrums Juch in Zürich.
Delf Bucher/reformiert.

Delf Bucher / reformiert.info / 14. September 2015

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